Der folgende Text erschien erstmalig in der Zeitschrift transfer, Ausgabe 2/2022 und auf der Website der Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste e.V. (AGdD).
„Wir sind interessiert“
„Satsikavleni“ ist der Name einer der ukrainischen Partnerorganisationen, mit denen ich seit 2019 für das forumZFD zusammenarbeite. Übersetzt heißt Satsikavleni „Wir sind interessiert“. Und besser könnte man Mitja und sein Team nicht beschreiben. Mitja hat zusammen mit seiner Mutter und Gleichgesinnten diese Nachbarschaftsinitiative in Odessa gegründet. Sie unterstützen engagierte Menschen in Quartier-Communities von Odessa. Sie geben den Menschen Raum und begleiten sie darin, neue Entscheidungsstrukturen und Formen von Partizipation für Stadtteile und Wohnbezirke aufzubauen.
Ziel ist es, die Interessen der Bewohner*innen stärker einzubringen, Konflikte konstruktiv zu transformieren und das kulturelle Leben in den Wohnvierteln zu beleben. Meine Aufgabe bestand darin, Initiativen wie Satsikavleni vor Ort in der Strategieplanung, der Gestaltung von Veränderungsprozessen, der Teamentwicklung, bei systemischen Ansätzen der Konfliktanalyse und Themen wie partizipative Führung zu begleiten. Dazu habe ich interaktive Schulungen organisiert, die Nachbarschaftsarbeit in der Praxis begleitet und Coachings – individuell und auf Teamebene – angeboten.
Evakuierung aus Odessa
Als die Warnungen vor einer Eskalation im Januar 2022 lauter wurden, bot das forumZFD mir an, das Land mit meinem Mann und den beiden Kindern für einen Monat zu verlassen. Wir flogen nach Ghana, ins Heimatland meines Mannes. Von dort aus setzte ich meine Arbeit auf digitalem Weg fort. Mit Unterstützung des forumZFD konnten wir unsere Projekte schnell den veränderten Umständen anpassen und weiter begleiten.
Am 24. Februar griff Russland dann die Ukraine an. Nun war es uns nicht mehr möglich, ins Land zurückzukehren, und trotzdem gelang es, unseren Partnern in Odessa in der ersten Schockreaktion zur Seite zu stehen. So konnten wir schnell finanzielle Mittel zur humanitären Hilfe für die Zielgruppen unserer Partner zur Verfügung stellen. Es gab auch Unterstützungsangebote für Mitarbeitende unserer Partnerorganisationen für den Fall, dass sie das Land verlassen wollten. Diejenigen, die sich dazu entschieden, erhielten auch in Deutschland weitere praktische Hilfe in Form von Beratung, Begleitung zu Behörden und Unterkunftsvermittlungen.
Ich kann mich daran erinnern, dass ich tagelang pausenlos telefonierte, um die Reise der Mitarbeiterin einer Partnerorganisation von Odessa nach Deutschland zu koordinieren und zu begleiten. Hier haben sich forumZFD-Kolleg*innen dann ehrenamtlich engagiert, die Frau und ihren Sohn empfangen und zunächst im Gästeappartement des forumZFD untergebracht. Zügig wurden die beiden dann an eine Gastfamilie vermittelt. Bis zum Sommer 2022 habe ich von Ghana aus für meine Partnerorganisationen in der Ukraine gearbeitet, dann sind wir nach Deutschland ausgereist, wo wir heute in Bonn leben. Von hier aus betreue ich nun meine Projekte in Odessa unter anderem per Zoom weiter.
Nachbarschaftliche Schutzorte
Ich fand es bemerkenswert, wie schnell sich „Unterstützungsketten“ gebildet haben. Das ForumZFD-Team hat sich sehr gut um uns als Mitarbeitende gekümmert: Angefangen von Evakuierungsangeboten über Möglichkeiten der psychologischen Unterstützung bis hin zu Kommunikations- und Vernetzungsangeboten. So konnte ich mich über den Kriegsbeginn hinweg schnell und intensiv auch um Satsikavlenis neue Bedarfe kümmern – beispielsweise für die Finanzierung humanitärer Hilfsmaßnahmen sorgen.
Dies erlaubt es Mitjas Team, Aktivist*innen verschiedener Initiativen in Odessa zu unterstützen, die sich um die Bedürfnisse in den Nachbarschaften kümmern: sie backen und verteilen Brot, organisieren Medikamente für kranke oder ältere Menschen und gestalten nachbarschaftliche Schutzorte, wo man nicht nur Schutz vor Bomben findet, sondern auch gemeinsam Filme guckt, Abendbrot teilt und die Kinder während der Luftalarme kreativ beschäftigt.
Gerade jetzt
Unser Team-Spirit hat im Kriegskontext eine neue Dimension gewonnen und unsere Arbeit ist gerade jetzt für eine resiliente und starke Zivilgesellschaft besonders relevant. Dafür arbeite ich weiter mit unseren Partnerorganisationen und -initiativen – nur derzeit eben online.
Ada Hakobyan, M.A. Interkulturelle Kommunikation und Konflikttransformation, ist seit 2019 forumZFD-Fachkraft in der Ukraine.
Die vollständige Ausgabe der Zeitschrift transfer 2/2022 "Konflikte, Krisen und Humanitäre Hilfe" steht auf der Website der AGdD zum Download zur Verfügung.