Herr Kovbasiuk, wie geht es Ihnen nach den Angriffen der letzten Tage?
Ganz ehrlich, mein erster Gedanke war, dass ich meine Mutter anrufe und ihr sage: „Komm, lass uns weggehen von hier.“ Es ist so hart, die Raketeneinschläge zu hören und nicht zu wissen, wie nah sie sind und ob man den Tag überlebt. Ich wollte nur noch weit weg sein vom Krieg.
Aber Sie sind geblieben.
Ja. Hier sind meine Verwandten, die mich brauchen. Hier sind Freund*innen und Bekannte. Und hier ist meine Arbeit für und mit den Menschen in den Wohnblocks.
Ihre Organisation „Zatsikavleni“ fördert die Wiederbelebung der Nachbarschaftskultur in den großen Wohnblocks von Odesa. Wie haben die Menschen dort die Angriffe erlebt?
Dieses Mal hatten wir alle Glück, die Raketen schlugen weiter entfernt von den Wohnblocks ein. Beim letzten Mal waren die Einschläge deutlich näher. Aber die Angriffe haben sich verändert. Russland setzt mittlerweile auch in Odesa ballistische Raketen ein, die deutlich schneller sind als die bisher eingesetzten. Die Menschen haben, wenn sie draußen auf der Straße sind, oft keine Zeit mehr, die Schutzräume zu erreichen. Jetzt fliehen sie einfach an den sichersten Ort, den sie innerhalb von drei Minuten finden können. Zudem greift Russland Odesa nun auch mit Streumunition an, die nicht nur ein einzelnes Gebäude zerstört, sondern alles im Umkreis von rund einem Kilometer. Das macht was mit der Psyche der Menschen, wenn sie selbst zwar verschont wurden, aber um sie herum auf einer riesigen Fläche plötzlich kein Stein mehr auf dem anderen ist.
Frieden braucht Sie!
Danke für Ihre Unterstützung
Was können Sie jetzt für die Menschen in den Wohnblocks tun?
Wir treffen uns gleich, nach diesem Interview, mit den Vorsteher*innen der Wohnblöcke. Dann wird es darum gehen, wie wir die Wohnblocks noch sicherer machen können. Wir werden weitere Keller ausräumen und zu Schutzräumen umbauen. Und wir werden die Schutzräume noch komfortabler machen. Im Falle eines Angriffs müssen die Menschen dort immer öfter und immer länger bleiben. Dann müssen sie sich so wohl fühlen wie möglich, vor allem die Kinder.
Zusammenzuhalten und gemeinsam diese Zeit durchzustehen, das ist jetzt am wichtigsten für die Menschen. Wenn jeder Tag der letzte deines Lebens sein kann, hilft es sehr, jemanden zum Reden zu haben.
Zusammenzuhalten und gemeinsam diese Zeit durchzustehen, das ist jetzt am wichtigsten für die Menschen. Wenn jeder Tag der letzte deines Lebens sein kann, hilft es sehr, jemanden zum Reden zu haben. Das wird ein weiteres Thema unseres Treffens sein: Wie können wir nicht nur die Sicherheit in den Wohnblocks, sondern auch die Kommunikation, die Entscheidungsprozesse und den Umgang mit Konflikten noch weiter verbessern? Wie können wir sicherstellen, dass alle Bewohner*innen der Wohnblocks alle wichtigen Informationen erhalten. Und vor allem: Wie können wir sicherstellen, dass alle das Gefühl haben: Ich bin nicht allein. Es gibt Menschen, die sich dafür interessieren, wie es mir geht. Das ist übrigens auch etwas, das ich an mir selbst entdeckt habe: Vor dem Krieg war es mir nicht besonders wichtig, täglich mit Verwandten und Freund*innen in Kontakt zu sein. Mittlerweile ist das anders.
Sie und die Vorsteher*innen der Wohnblocks haben eine große Verantwortung. Wie können Sie in dieser Zeit für sich selbst sorgen?
Wir treffen uns regelmäßig und tauschen uns aus. Wir erhalten darüber hinaus psychologische Unterstützung, die uns stärkt. Wir erfahren auch, wie wir uns vor Überforderung und vor einem Burn Out schützen können. Es ist wichtig, dass wir gut für uns selbst sorgen. Denn nur dann sind wir in der Lage, uns um andere zu kümmern.
Welche Pläne haben Sie für die nächsten Wochen und Monate?
Die Sicherheit der Menschen in den Wohnblocks zu verbessern hat die höchste Priorität. Russland wird Odesa weiterhin angreifen, wir wissen nur nicht, wann und wie. Darüber hinaus planen wir einen neuen Kurs zur Kultur der Guten Nachbarschaft. Die Teilnehmenden werden darin in Methoden wie gewaltfreier Kommunikation, Konfliktlösung und partizipativer Entscheidungsfindung geschult und zur Übernahme von Leitungsaufgaben in den Wohnblocks befähigt. Der Alltag im Krieg fordert viel von den Menschen. Wir machen sie widerstandsfähiger.
Das Interview führte Petra Gramer.
Dmytro Kovbasiuk und die NGO „Zatsikavleni“ sind seit 2019 Partner des forumZFD. Das Projekt zur Wiederbelebung der Nachbarschaftskultur, maßgeblich unterstützt auch durch den NGO Odesa Development Fund, erreicht derzeit rund 4.000 Menschen.
Weitere Informationen zu dem Projekt finden Sie HIER.
Das forumZFD engagiert sich mit einer Vielzahl von Projekten in der Ukraine. Wir helfen den Menschen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass zivilgesellschaftliches Engagement weitergehen kann – auch in Zeiten des Krieges.
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