Dieser Artikel bezieht sich auf einen im Sommer bekannt gewordenen Entwurf. Dieser stieß auf breite Kritik, und das nicht nur von Menschenrechtsorganisationen, sondern vor allem von Kulturschaffenden und aus der Wissenschaft. Die kritischen Stimmen fürchten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und letztlich, dass sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag, Räume für Diskurs und damit für eine konstruktive Konfliktaustragung anzubieten, nicht mehr gerecht werden können. Ersten Medieneinschätzungen zufolge sind die im Folgenden benannten kritischen Punkte auch in dem neuen Entwurf enthalten, der nun den Abgeordneten zur Entscheidung vorgelegt werden soll.
Es geht bei der Resolution genau gesagt um einen sogenannten Entschließungsantrag. Das ist eine Empfehlung des Parlaments, also kein Gesetz. Ein Entschließungsantrag kann jedoch maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten von staatlichen Institutionen entfalten und sich schließlich auch rechtlich niederschlagen in Verordnungen, die sich daran orientieren. Eine zentrale Frage in den Auseinandersetzungen um den Antrag ist das Verständnis von Antisemitismus, das sich der Staat damit zu eigen macht und seinen Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus zugrunde legen würde.
Dabei ist unbestritten, dass Staat und Gesellschaft Antisemitismus entschiedener entgegentreten müssen. Die Anzahl antisemitischer Vorfälle ist im letzten Jahr dramatisch gestiegen, ebenso das Bedrohungsgefühl von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Das gilt auch für antimuslimischen Rassismus und damit verbundene Taten.
Der Antragsentwurf macht jedoch die umstrittene Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) zur Grundlage. Diese eignet sich ob ihrer Unbestimmtheit und der Gefahr der Einordnung von Kritik an israelischer Regierungspolitik als antisemitisch nicht als Maßstab staatlicher Maßnahmen, die in wichtige Grundrechte eingreifen. Sie könnte beispielsweise bei Straf- oder Asylrechtsverschärfungen, staatlicher Fördermittelvergabe oder der Exmatrikulation von Hochschulstudierenden zur Anwendung kommen. So argumentierten das forumZFD und andere Friedens- und Menschenrechtsorganisationen in einem Brief an die Fraktionen im Bundestag.
Auch eine Gruppe jüdischer Intellektueller und Kulturschaffender warnte in einem offenen Brief: „Diese Engführung und ihre Instrumentalisierung durch Behörden, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, schließt genau die Vielfalt jüdischen Lebens aus, die sie zu bewahren vorgibt, und gefährdet jene Rechte, für die sie zu kämpfen vorgibt.“
„Ein Verständnis (von Antisemitismus), das es nicht erlaubt, hinreichend zwischen Diskriminierung und Positionierung in einem politischen Konflikt zu unterscheiden, trägt wenig zum Umgang mit diesem drängenden Problem bei. Es schafft zusätzliches Konfliktpotenzial“, fasst die Berliner Soziologin Teresa Koloma Beck zusammen. Sie erklärt in einem ausführlichen Essay, wie vielfältig die Verflechtungen der Gesellschaft in Deutschland mit Israel und Palästina heute sind und welche Anforderungen an einen konstruktiven Umgang mit dem Nahostkonflikt sich daraus für Deutschland ergeben. Sie zählt dazu die über Jahrzehnte gewachsenen politischen und gesellschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zum Staat Israel, die seit den 1960er Jahren existierende große palästinensische Diaspora und die seit etwa 20 Jahren wachsende Gruppe jüdischer Israelis in Deutschland sowie die Gruppe der Geflüchteten, die im Laufe der 2010er Jahre aus dem Nahen Osten hier ankamen.
Die SPD-Politikerin und ehemalige Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli sprach in einem Interview mit der taz aus, wie viele Menschen mit palästinensischen Wurzeln den Diskurs in Deutschland erleben: „Ich finde es sehr problematisch, wenn einem das Eintreten gegen Antisemitismus nur dann abgenommen wird, wenn man sich von seiner palästinensischen Identität distanziert und sich mit Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza zurückhält.“ Auch sie beobachtet, dass der Antisemitismusbegriff zunehmend entgrenzt und instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu unterbinden. Das schade dem Kampf gegen Antisemitismus.
Auch das forumZFD und viele seiner Partner haben diese Problematik bei den Vortragsveranstaltungen mit den Combatants for Peace erlebt, einer israelisch-palästinensischen Friedensorganisation. Universitäten sagten geplante Veranstaltungen ab, nachdem sie über soziale Medien und in E-Mails mit Vorwürfen konfrontiert wurden, die Vortragenden, ein jüdischer Israeli und ein Palästinenser, seien antisemitisch. Andere Veranstalter löschten Videoaufzeichnungen der Vorträge von ihren Websites, nachdem sie mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wurden. Man muss die scharfe Kritik der Combatants for Peace an der israelischen Besatzungspolitik und der Kriegführung in Gaza nicht teilen, antisemitisch sind ihre Aussagen sicher nicht.
Das Beispiel zeigt, welche konkreten Folgen der instrumentalisierende Umgang mit dem Antisemitismusvorwurf bereits hat. Doch nicht nur in Deutschland wird eine weitere Verengung des Diskurses und verstärkte Repression gefördert, sollte der Bundestag die Resolution in der bekanntgewordenen Fassung beschließen. Friedens- und Menschenrechtsorganisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten, die ohnehin unter enormem Druck von allen Seiten stehen, fürchten ebenfalls Auswirkungen. Sie werden vielfach von der Bundesregierung auch finanziell unterstützt, auch diese Förderung könnte zukünftig mit der Begründung des Antisemitismus eingestellt werden.
Damit würden genau die Stimmen verstummen, die sich vor Ort für eine Zukunft in Sicherheit und Frieden für Israelis und Palästinenser*innen einsetzen.