Frauen müssen am Friedensprozess beteiligt werden. Uns muss niemand einen Platz am Verhandlungstisch anbieten. Wir bringen unsere Stühle selbst mit!
Wenn Hooria Mashhour über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen spricht, versprüht die sonst so zurückhaltende ältere Dame mit einem Mal eine ungeahnte Energie. Ihr Zeigefinger fährt durch die Luft. „Frauen müssen am Friedensprozess beteiligt werden. Uns muss niemand einen Platz am Verhandlungstisch anbieten. Wir bringen unsere Stühle selbst mit!“ Hooria Mashhour spricht über den Friedensprozess im Jemen. Das Land erlebt seit Jahren einen brutalen Krieg, die humanitäre Lage ist katastrophal. Viele Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben oder mussten vor der Gewalt im Ausland Schutz suchen. So auch Hooria Mashhour. Als Ministerin für Menschenrechte geriet sie 2015 ins Visier der Konfliktparteien. Ihr Leben war nicht mehr sicher. Sie beantragte Asyl in Deutschland, wo sie seitdem lebt. Dass sie fliehen musste und nun im Exil lebt, hält sie aber nicht davon ab, sich weiterhin politisch zu engagieren: In vielen verschiedenen Initiativen setzt sie sich für Frieden im Jemen ein.
Frieden braucht Sie!
Danke für Ihre Unterstützung
Ihre bewegende Geschichte erzählt die 69-Jährige in der multimedialen Ausstellung „Gesichter des Friedens“ des forumZFD. Darin werden insgesamt zehn Menschen vorgestellt, die Krieg erlebt haben und die sich für Frieden einsetzen, alle auf ihre eigene Art und Weise. In ausführlichen Video-Interviews berichten sie, was sie erlebt haben und was sie dazu motiviert, sich zu engagieren. Die Ausstellung macht deutlich, wie vielfältig das Engagement für Frieden aussehen kann – und wie vielfältig auch die Menschen dahinter sind. Denn alle Porträtierten bringen eine internationale Geschichte mit. Manche von ihnen sind als Geflüchtete nach Deutschland gekommen, andere zum Studium oder aus beruflichen Gründen. Die meisten leben heute in Deutschland und sind damit Teil der großen und vielfältigen Diaspora-Communitys hierzulande.
Mehr Menschen weltweit auf der Flucht als je zuvor
Derzeit wird in Europa und auch in Deutschland wieder einmal kontrovers um einen Kurs in der Asylpolitik gerungen. Die Themen Flucht und Migration werden in der politischen Debatte häufig vermischt und sie polarisieren. Das liegt auch daran, dass oftmals eine sicherheitslogische Perspektive überwiegt: Geflüchtete und Migrant*innen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kommen, werden als Problem wahrgenommen. Die Komplexität globaler Zusammenhänge und Probleme führt bei vielen Menschen zu einem Gefühl der Überforderung und Verunsicherung. Vermeintlich einfache Antworten gewinnen an Zuspruch. Beispielsweise konzentriert sich die aktuelle Debatte um das Asylrecht vor allem darauf, die Zahl der Neuankömmlinge zu reduzieren.
Ob das nun als „Obergrenze“ oder „Integrationsgrenze“ bezeichnet wird – die komplexen Ursachen für Flucht werden auf diese Weise jedenfalls nicht angegangen. Denn Flucht ist Folge gewaltsamer Konflikte. Weltweit erreichte die Anzahl der Geflüchteten im Jahr 2022 einen traurigen Rekord: Über 100 Millionen zählte das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Das sind etwa doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren – Tendenz steigend. Die Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, Armut und Benachteiligung. Sie werden gewaltsam vertrieben und fürchten um ihr Leben oder das ihrer Familien. Viele verbringen Jahre im Exil, häufig in den direkten Nachbarländern ihrer Heimat, und kämpfen in überfüllten Camps um das tägliche Überleben.
Frieden braucht Sie!
Danke für Ihre Unterstützung
In Deutschland waren Ende 2022 laut Statistischem Bundesamt etwa 3,08 Millionen Schutzsuchende registriert. Die meisten davon, etwa ein Drittel, kamen aus der Ukraine. Die zweit größte Gruppe, etwa 674.000, kam aus Syrien, gefolgt von Menschen aus Afghanistan und dem Irak. Gemessen an der Bevölkerungsgröße liegt Deutschland in der EU im Mittelfeld, was die Aufnahme von Schutzsuchenden betrifft. Sehr viel größer ist die Zahl der Menschen mit Migrationsgeschichte: Etwa 23,8 Millionen Menschen und damit über ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Viele Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung bleiben den Ländern verbunden, die Teil ihrer Familiengeschichte sind. Diese Verbindung ist eine starke Motivation, sich humanitär oder politisch zu engagieren. Diaspora-Organisationen leisten wichtige Beiträge zu Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit weltweit.
Geschichten aus verschiedenen Weltregionen
Dem negativen Bild, das so manch ein der politischen Debatte von Geflüchteten und Migrant*innen zeichnen, setzt die Ausstellung die inspirierenden Geschichten von Menschen entgegen, die Krieg erlebt haben und sich aus dieser Erfahrung heraus für Frieden einsetzen. Die porträtierten Menschen kommen aus verschiedenen Weltregionen und auch ihre Art und Weise, sich zu engagieren, sind sehr vielfältig.
Darunter sind beispielsweise ein Künstler aus Afghanistan, eine Menschenrechtsaktivistin aus Syrien und eine Mitarbeiterin des forumZFD, die in Armenien zur Zeit des Krieges um Bergkarabach aufgewachsen ist. Ihr Beispiel zeigt, dass auch Friedensorganisationen sich verändern: War das forumZFD bei seiner Gründung in den 1990er Jahren noch überwiegend von weißen Menschen geprägt, so sind die Biografien der Belegschaft heute deutlich diverser. Für die Friedensarbeit ist es eine große Bereicherung, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Expertisen zusammenkommen.
Die Theaterpädagogin Dana Khamis, die selbst aus Jordanien stammt, führte die Video-Interviews durch. Worum es in den Gesprächen genau gehen sollte, hatte sie zuvor mit den Teilnehmenden in interaktiven Workshops erarbeitet. „Hierfür habe ich Ansätze des biografischen Theaters genutzt“, erklärt sie. „Das ist eine Form des Theaters, die auf realen Geschichten beruht. Die Erfahrungen der Menschen stehen im Mittelpunkt und bilden sozusagen das ‚Drehbuch‘. In den Interviews ging es für mich daher in erster Linie ums Zuhören. Ich habe die Interviewpartnerinnen und -partner gebeten: Erzählt vom Herzen! Erzählt, was euch bewegt! Dafür war es natürlich wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und mit ihnen vorher genau zu besprechen, was sie teilen möchten und was nicht.“
forumZFD-Büro wird zum Filmstudio
Im Sommer verwandelten sich dann die Büroräume des forumZFD in Köln für kurze Zeit in ein Filmstudio. An zwei Drehtagen wurden die acht Videointerviews aufgezeichnet. Die Teilnehmenden waren dafür extra nach Köln angereist. Den weitesten Weg hatte Otto Raffai, der in der kroatischen Hauptstadt Zagreb wohnt. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmenden des Ausstellungsprojekts lebt Raffai heute nicht in Deutschland, doch auch er hat Krieg erlebt: Als im ehemaligen Jugoslawien in den 90er Jahren die Gewalt eskalierte, ging er für einige Zeit nach Österreich und in die Schweiz. Denn als gläubiger Christ lehnte er es ab, selbst zur Waffe zu greifen. Er verweigerte den Wehrdienst.
Ich bin schon als Kind stark vom katholischen Glauben geprägt worden und nach meinem Theologiestudium war mir endgültig klar, dass es kein Ziel gibt, für das ich einen anderen Menschen töten würde.
Im Video-Interview erzählt er: „Ich bin schon als Kind stark vom katholischen Glauben geprägt worden und nach meinem Theologiestudium war mir endgültig klar, dass es kein Ziel gibt, für das ich einen anderen Menschen töten würde.“ Noch während des Krieges kehrte Raffai nach Kroatien zurück und schloss sich einem Verein an, der Kriegsdienstverweigerer unterstützte. Heute schult er gemeinsam mit seiner Frau andere Menschen in gewaltfreiem Handeln und zeigt ihnen Wege auf, sich für Frieden zu engagieren. Hunderte Menschen aus Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien haben bereits an ihren Kursen teilgenommen.
Otto und Ana Raffai setzen sich insbesondere für das friedliche Miteinander der Religionen ein und engagieren sich in der Initiative „Gläubige für den Frieden“. Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens zu ermöglichen, sei wichtig, sagt Raffai, denn bis heute gebe es in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens Spannungen zwischen den verschiedenen Religionen und Konfessionen. Er ist überzeugt: „Konflikte wird es immer geben. Aber es gibt andere Wege, damit umzugehen, als Gewalt anzuwenden. Wenn es uns gelingt, dafür ein Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen, haben wir schon viel erreicht. Ich sage immer wieder: Den gewaltfreien Weg zu gehen, kann man lernen! Für mich ist das eine Aufgabe für ein ganzes Leben.“
Frieden braucht Sie!
Danke für Ihre Unterstützung
Für Interviewerin Dana Khamis sind es diese Botschaften, die die Interviews ausmachen: „Mich hat sehr beeindruckt, mit welcher Zielstrebigkeit sich die Teilnehmenden für eine Idee oder eine Sache einsetzen. Sie haben Schicksalsschläge erlebt und sind trotzdem wieder aufgestanden und haben weitergemacht. Das finde ich eine wirklich positive Botschaft: dass sie selbst in den dunkelsten Momenten nicht die Hoffnung verloren haben. Das gibt auch mir Hoffnung.“
Dialog und Begegnung durch Theater
Dunkle Momente haben auch Yuliia* aus der Ukraine und Anastasia* aus Russland erlebt. Yuliia erinnert sich noch genau an den Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022: „Ich hatte für diesen Tag bei einem russischen Lieferdienst Blumen und Luftballons für Anastasia bestellt, die zu ihrer Wohnung in Moskau geliefert werden sollten. Es war nämlich ihr Geburtstag. Und dann wachte ich in meinem Heimatort in der Nähe von Dnipro um fünf Uhr morgens vom Lärm der Bomben auf. Das war völlig surreal.“ Das Paar entschied sich zur Flucht. Heute leben sie in Berlin und sind frisch verheiratet – was in ihrer Heimat nicht möglichgewesen wäre, betont Anastasia. Als queere, feministische Aktivistin hat sie in Russland Anfeindungen und sogar Gewalt erlebt. Im Video-Interview erzählen die beiden, wie sie mit Playback-Theater Räume für Dialog und Begegnung schaffen. Ihre Angebote richten sich sowohl an Menschen aus Russland als auch aus der Ukraine. Playback-Theater ist eine Form der Improvisationskunst, bei der zunächst eine Person aus dem Publikum ein persönliches Erlebnis erzählt.
Anschließend setzen die Schauspieler*innen die Geschichte in Szene. In der Friedensarbeit kann Playback-Theater eingesetzt werden, zum Beispiel um in Konfliktsituationen Perspektivwechsel zu ermöglichen. „Playback-Theater löst nicht das Problem, aber es hilft uns, das Problem zu verstehen“, erklärt Anastasia. „Durch die Geschichten fühlen wir uns in die Person ein und sehen die Ereignisse aus ihrem Blickwinkel. Das ist der erste Schritt hinzu Empathie, und aus Empathie kann Veränderung entstehen.“
Während der Gespräche habe ich gelacht und geweint.
Die Interviews aufzuzeichnen, war für alle Beteiligten ein emotionaler Prozess – auch für Interviewerin Dana Khamis. „Während der Gespräche habe ich gelacht und geweint. Alle Geschichten gingen mir sehr nahe. Ich bin einfach froh, dass es diese Menschen gibt. Sie zeigen, dass es viele Wege gibt, um sich für Frieden starkzumachen. Man muss dafür nicht Karriere in der Politik machen. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu verändern, auch mit kleinen Schritten wie zum Beispiel ehrenamtlicher Arbeit. Das ist für mich die zentrale Botschaft der Ausstellung: Wir alle können für Frieden aktiv werden!“
*Zum Schutz der Personen nennen wir nur die Vornamen.
Gesichter des Friedens
Eine multimediale Ausstellung des forumZFD
Die Ausstellung besteht aus acht Video-Interviews, in denen insgesamt zehn Friedensstifter*innen porträtiert werden.
Neben den Videos gibt es zu allen Personen ein Plakat, auf dem sie vorgestellt werden, sowie friedenspädagogische Begleitmaterialien, mit deren Hilfe die Ausstellung an Schulen eingesetzt werden kann. Ab Mitte November werden die Video-Interviews nach und nach auf der Webseite des forumZFD veröffentlicht.
Die Plakatversion der Ausstellung steht ab Januar 2024 zur Bestellung bereit und kann zum Beispiel an Schulen oder in Kultur- und Bürgerzentren gezeigt werden.
Sie interessieren sich für die Ausstellung oder kennen einen Ort, wo diese gezeigt werden kann?
Wir freuen uns auf Ihre Nachricht! Wenden Sie sich gerne an:
E-Mail: kontakt@forumZFD.de
Telefon: 0221 – 9 12 73 20
Alle Infos zur Ausstellung auch online auf: www.forumZFD.de/gesichter-des-friedens
Die Ausstellung ist Teil eines Friedensbildungsprojekts des forumZFD. Das Projekt wird gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen.
Frieden braucht Sie!
Danke für Ihre Unterstützung