Den Kreislauf der Gewalt durchbrechen

Wie Projekte des forumZFD und seiner Partner*innen weltweit helfen, Kriegsfolgen zu bewältigen

Gewaltsame Konflikte beeinträchtigen das gesellschaftliche Miteinander oft auf Jahrzehnte – selbst wenn die Waffen längst schweigen. Ansätze wie „Transitional Justice“ und „Dealing with the Past“, die auch das forumZFD anwendet, unterstützen auf dem Weg in eine friedlichere Zukunft. Doch was genau verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Holocaust-Mahnmal in Berlin
© Astrid Westvang, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Völkermord, Folter, sexuelle Gewalt und Vertreibung – gewaltsame Konflikte sind oft von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten gekennzeichnet. Diese prägen Opfer und Überlebende auch dann noch, wenn ein Konflikt zumindest offiziell längst beendet ist. Traumata belasten nicht nur diejenigen, die Gewalt direkt erfahren haben. Sie werden oft auch von Generation zu Generation weitergegeben, wodurch Konflikte verfestigt werden.

Insbesondere wenn Gewalttaten nicht geahndet oder gar geleugnet werden, bleiben Opfer ungehört und ausgegrenzt. Das kann wiederum zu neuer Gewalt führen. Auch gewaltsame Vertreibungen ziehen häufig neue Konflikte nach sich, wenn die Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren wollen. Wie ist es möglich, solche Kreisläufe der Gewalt zu durchbrechen?

Die weltweite Friedensarbeit des forumZFD trägt dazu bei, vergangene Gewalterfahrungen und deren Folgen dauerhaft und umfassend aufzuarbeiten. Die Projekte in diesem Bereich setzen an den Ursachen von Konflikten an und tragen zur Heilung und Versöhnung bei. Solche Ansätze fassen Friedens- und Konfliktforschende häufig unter Begriffen wie „Dealing with the Past“ (auf Deutsch in etwa: Vergangenheitsbewältigung) oder „Transitional Justice“ zusammen. Während sich die meisten Menschen unter der Aufarbeitung der Geschichte etwas vorstellen können, ist der Begriff Transitional Justice in Deutschland eher unbekannt. Wörtlich lässt er sich in etwa mit „Übergangsjustiz“ übersetzen, doch dies trifft es nicht ganz. Denn das Konzept bezieht sich nicht allein auf eine strafrechtliche Verfolgung der Gewalttaten, sondern beruht auf einer breiteren Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Gesellschaft, Medien und Politik.

Deutschland wird oft als Beispiel genannt

„Verglichen mit der internationalen Diskussion ist die Debatte in Deutschland gleichzeitig einen Schritt voraus und einen hinterher“, schreibt die Friedens- und Konfliktforscherin Susanne Buckley-Zistel. Zwar sei Transitional Justice in der Praxis des Zivilen Friedensdienstes längst als Arbeitsschwerpunkt angekommen. In der deutschen Friedensforschung erhalte das Konzept jedoch weniger Aufmerksamkeit als in anderen Ländern.

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Das ist insofern erstaunlich, als Deutschland in der internationalen Literatur zum Thema eines der am häufigsten zitierten Beispiele ist. Es gibt zahlreiche Forschungsarbeiten dazu, wie in Deutschland der Holocaust und die Verbrechen des NS-Regimes aufgearbeitet wurden. Dazu gehörte nicht nur die strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen – etwa in den Nürnberger Prozessen –, sondern zum Beispiel auch Entschädigungen für Opfer und Überlebende, Bildungsreformen sowie der Aufbau einer Erinnerungskultur. Die Vielfalt der Handlungsfelder, die zu Vergangenheitsbewältigung und Transitional Justice gehören, unterstreicht die Dimension des Themas: Die vielfältigen Erfahrungen von Krieg und Gewalt aufzuarbeiten, ist in der Praxis eine enorme Herausforderung.

Das zeigte sich auch Anfang des Jahres bei einer großen Konferenz zu Transitional Justice in den Philippinen. Eingeladen hatten das forumZFD und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Rund 200 Delegierte lokaler und internationaler Organisationen sowie von Regierungsbehörden und aus der Zivilgesellschaft nahmen teil. Gemeinsam gingen sie der Frage nach, wie ein gerechter und dauerhafter Frieden in der Bangsamoro gelingen kann. Diese Region im Süden der Philippinen war jahrzehntelang Schauplatz von Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der muslimischen Unabhängigkeitsbewegung.

Anfang des Jahres lud das forumZFD in den Philippinen zu einer großen Konferenz über Transitional Justice ein, auf der die Teilnehmenden viel miteinander diskutierten.

Die Ursprünge der Gewalt reichen weit in die Vergangenheit zurück und hängen eng mit der kolonialen Fremdherrschaft zusammen sowie mit Ausgrenzung und Vertreibung muslimischer Gemeinden aus ihren angestammten Gebieten. Seit 1969 hat der Konflikt Schätzungen zufolge über 120.000 Menschen das Leben gekostet, Millionen wurden vertrieben. 2014 unterzeichneten die Konfliktparteien schließlich den lang ersehnten Friedensvertrag. Dieser legte auch die Grundlage für die Gründung der Autonomen Region Bangsamoro.

Dass die Region nun weitgehende Selbstverwaltungsrechte erhält, ist bereits eine Form der Wiedergutmachung für die Jahrhunderte, in denen der muslimischen Bevölkerung genau dieses Recht verwehrt wurde. Doch für einen dauerhaften Frieden braucht es mehr. Ein wichtiger Bestandteil des Friedensvertrags war die Gründung einer „Kommission für Transitional Justice und Versöhnung“ – dies unterstreicht, welche Bedeutung diesem Thema auch von den Konfliktparteien eingeräumt wird. 2016 legte die Kommission einen Bericht mit über 90 Empfehlungen vor, unter anderem zu Reparationszahlungen, Strafverfolgung und institutionellen Reformen.

Oberflächliche Ansätze bringen keine Versöhnung

Allerdings lässt die Umsetzung bis heute auf sich warten. Und so hat Transitional Justice zwar formal einen prominenten Platz im Friedensvertrag, doch die meisten Gewalterfahrungen bleiben weiterhin unbearbeitet. Auch Jahre nach den Kämpfen fühlen sich Betroffene mit den Folgen der Gewalt allein gelassen, viele Gräueltaten bleiben undokumentiert und Verantwortliche wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Beispiel der Bangsamoro zeigt daher auch: Es braucht eine engagierte Zivilgesellschaft, die sich dafür einsetzt, dass diese Aspekte des Friedensabkommens umgesetzt werden und alle Bevölkerungsgruppen in der multiethnischen Region gehört werden. Um eine echte Versöhnung zu bringen, reicht es nicht aus, allein die formelle Grundlage für Transitional Justice auf institutioneller Ebene zu schaffen.

Das lässt sich auch in Bosnien und Herzegowina beobachten. Hier liegen die Kämpfe deutlich länger zurück: Im Jahr 1995 beendete das Friedensabkommen von Dayton offiziell den Krieg. Doch bis heute befindet sich das Land in einer Art eingefrorenem Konflikt.

Ein Grund dafür ist, dass sich die Mechanismen zur Aufarbeitung der begangenen Gräueltaten bislang weitgehend auf die strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen beschränken. Andere Ansätze, wie zum Beispiel Entschädigungen für Opfer, eine wahrheitsgetreue Aufklärung über die Ereignisse und das öffentliche Gedenken werden vernachlässigt. Auch gibt es kaum Bemühungen, um sicherzustellen, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt. „Das hat zur Folge, dass Transitional Justice bislang nur eine begrenzte Reichweite hat – sie beschränkt sich auf die Gerichtssäle“, sagt Lejla Gačanica, Rechtsexpertin und Partnerin des forumZFD. „Der öffentliche Raum bleibt dadurch anfällig für Mythen, Streitigkeiten und Manipulationen von Kriegsnarrativen.“ Infolgedessen sind ethnozentrische und einseitige Darstellungen des Kriegsgeschehens weiterhin sehr präsent in Gesellschaft, Medien und Politik.

 

Zum Beispiel werden auch heute noch Hassbotschaften an öffentliche Gebäude geschmiert, und in Graffitis werden Kriegsverbrecher*innen verherrlicht. Und trotz zahlreicher Gerichtsurteile, die die Verbrechen eindeutig feststellten, halten die Versuche an, die Geschichte umzudeuten. Deshalb hat sich das forumZFD zusammen mit der Organisation „TRIAL International“ dafür eingesetzt, die Leugnung von Völkermord, Holocaust, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesetzlich unter Strafe zu stellen. Mit Erfolg: Seit 2021 gibt es in Bosnien und Herzegowina ein entsprechendes Gesetz. „Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn“, sagt Sunita Dautbegović-Bošnjaković, Projektmanagerin des forumZFD in Sarajevo. „Jetzt kommt es darauf an, dass die neuen Gesetze in der Praxis auch angewendet werden. Dafür braucht es mehr Sensibilisierung für dieses Thema in der Öffentlichkeit.“ Gemeinsam mit „TRIAL International“ und dem „Network for Peace Building“ arbeitet das forumZFD deshalb weiterhin daran, alle zentralen Akteur*innen einzubinden und das Bewusstsein dafür zu schärfen, welche Folgen die anhaltende Verherrlichung von Kriegsverbrecher*innen hat.

Ziel ist ein gesellschaftlicher Wandel

In Bosnien und Herzegowina zeigt sich, dass Transitional Justice sich nicht allein darauf beschränken darf, die Verantwortung für Kriegsverbrechen gerichtlich festzustellen. Vielmehr braucht es einen umfassenden Ansatz, der die Gesellschaft als Ganzes miteinbezieht. Es braucht einen öffentlichen Konsens darüber, dass solche Taten inakzeptabel sind. Und es braucht eine Gesellschaft, die sich dazu verpflichtet, Sorge zu tragen, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen.

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In manchen Ländern sprechen zivilgesellschaftliche Akteur*innen deshalb anstelle von „Transitional Justice“ lieber von „Vergangenheitsbewältigung“, da dieser Begriff noch stärker die notwendige gesellschaftliche Transformation in den Mittelpunkt stellt. Auch das forumZFD konzentriert sich nicht allein auf Reformen auf der politischen oder juristischen Ebene, sondern arbeitet darauf hin, Denkmuster und zwischenmenschliche Beziehungen zu verändern.

So auch im Libanon. Hier wird besonders deutlich, dass zivilgesellschaftliche Initiativen selbst dann etwas bewirken können, wenn sich Staat und Justiz nicht um Aufklärung bemühen. Denn während in Bosnien und Herzegowina die Täter*innen strafrechtlich verfolgt wurden, war die Zeit nach dem Bürgerkrieg im Libanon gekennzeichnet von einer ‚kollektiven Erinnerungslücke‘ – die von der Politik aktiv befördert wurde. So wurde 1991 ein allgemeines Amnestiegesetz für Kriegsverbrechen erlassen. Infolgedessen wurden die zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die während des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 begangen wurden, nicht aufgearbeitet, und der Libanon war in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Schauplatz von Gewalt, einschließlich bewaffneter Zusammenstöße und politisch motivierter Morde. Dringend benötigte institutionelle Reformen wurden nicht angegangen und seitens der Politik gibt es bis heute kaum Bemühungen um Aufklärung, Gerechtigkeit und Versöhnung.

Ein Workshop des forumZFD im Libanon: Für viele Teilnehmende ist es das erste Mal, dass sie offen über den Krieg reden können.

Die Zivilgesellschaft springt ein

Das hält zivilgesellschaftliche Akteur* innen jedoch nicht davon ab, die Geschichte in eigener Initiative aufzuarbeiten: Sie dokumentieren zum Beispiel die begangenen Verbrechen, stehen Opfern zur Seite und machen sich für Dialog und Versöhnung stark. Das forumZFD unterstützt sie dabei. Im Zentrum steht, wie sich die Erinnerungen an den Krieg bis heute auf die Konfliktdynamiken in der Gesellschaft auswirken – und was jede*r Einzelne zu Veränderungen beitragen kann.

So bringt zum Beispiel eine Workshop- Reihe des forumZFD mit dem Titel „Erinnerungen an den Krieg“ Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen und weitere Freiwillige zusammen. Die Teilnehmenden sprechen sowohl über ihre eigenen Erinnerungen als auch über die ihrer Eltern und ihres sozialen Umfelds. Für viele ist es das erste Mal, dass sie offen über den Krieg reden können. Das hilft ihnen, ihre eigene Haltung besser zu verstehen und die Erfahrungen anderer nachvollziehen zu können – und so einen Umgang mit der Vergangenheit zu finden. Ein Teilnehmer erzählt: „Ich komme hierher, um gehört zu werden, aber auch, um den anderen zuzuhören und zu sehen, wie wir aus unseren Schneckenhäusern herauskommen können, in denen wir seit dem Krieg stecken.“

Ob im Libanon, in Bosnien und Herzegowina oder den Philippinen: Alle drei Beispiele zeigen, dass die Bewältigung von Kriegsfolgen eine langfristige Aufgabe für die gesamte Gesellschaft ist. Auf dem Weg gibt es viele Hindernisse. Die Herausforderungen variieren von Land zu Land und das forumZFD und seine Partner passen die Arbeitsansätze an die Bedürfnisse vor Ort an. Doch trotz ihrer Vielfalt haben all diese Initiativen ein gemeinsames Ziel: Die Grundlage für einen gerechten Frieden schaffen, der über das rein formale Ende der Feindseligkeiten hinausgeht und einen echten Wandel im gesellschaftlichen Miteinander bedeutet.

Von Lena Muhs, Jenny Munro, Soha Fleyfil und Sunita Dautbegović-Bošnjaković