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Wenn die Wessidame kommt

Eine Kommune macht sich auf den Weg

Im Dezember 2015 kommt Antonie Armbruster-Petersen, Beraterin für das forumZFD, nach Ludwigslust. Zu dieser Zeit kommen viele Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, in der Stadt an. Flüchtlinge – das ist für die Kommune kein neues Thema. Schon lange werden sie in einer Gemeinschaftsunterkunft der Stadt untergebracht. Doch die steigende Zahl ist eine große Herausforderung.

Regelmäßig finden gemeinsame Feste mit Geflüchteten und Einheimischen in Ludwigslust statt, zum Beispiel anlässlich des Zuckerfestes 2017.
© forumZFD/A. Armbruster-Petersen

Ein kleiner Flecken Erde im westlichen Mecklenburg, unweit Schwerins – der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns –, hatte es schon in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts den damaligen Regenten des Herzogtums Mecklenburg-Schwerin so sehr angetan, dass sie ihre Residenz vom großen Schweriner Schloss hierher verlegten. Ganz unbescheiden ließ Herzog Christian Ludwig den damaligen Ort Klenow nach sich selbst benennen: Ludwigslust. Es entstand das „Versailles des Nordens“. Ein Barockschloss-Ensemble, das nunmehr saniert und in prachtvollem Glanz wiedererstrahlt. Ludwigslust wuchs zur Residenzstadt.

Wer heute in die Gegend kommt, findet schmucke Straßen mit roten Backsteinhäusern und Residenzbauten. Rund 12.000 Menschen leben in Ludwigslust. Verkehrstechnisch ist der Ort besser angebunden als die Landeshauptstadt: Mehrmals täglich fahren ICE-Linien die knappe Stunde nach Berlin und noch schneller nach Hamburg. Der Autobahnzubringer in dieselben Richtungen liegt unmittelbar am Stadtausgang. Es gibt mehrere große Industrieansiedlungen. Die Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise gering.

Das Rathaus von Ludwigslust in rotem Backstein zeigt die typische traditionelle Bauweise der Region.

Das Rathaus von Ludwigslust

Die Menschen hier sind, wie die Menschen in Mecklenburg eben so sind: Rau. Wortkarg. Herzlich. Zurückhaltung ist ihre Natur. Es lässt sich unschwer vorstellen, wie der erste Kontakt zu Ortsansässigen mit Antonie Armbruster-Petersen vom Team der Kommunalen Konfliktberatung des forumZFD ausgesehen haben muss. Die „Dame aus dem Westen“ spricht konsequent gendergerecht und hat einen Doppelnamen. Und das, wo die Menschen hier Schulz oder Müller heißen. Die gebürtige Schwarzwälderin, die lange Jahre u. a. in Berlin gelebt und gearbeitet hat, hat sich Mecklenburg bewusst als Einsatzort ausgesucht. Seit Langem kennt sie durch Freundschaften hier Land und Leute. Sie weiß, dass der Erfolg ihrer Arbeit davon abhängt, ob es ihr gelingt, eine gute Vertrauens- und Beziehungsebene zu erreichen.

Als sie im Dezember 2015 für das forumZFD nach Ludwigslust kommt, hält der Strom von Menschen, die vor Krieg und Elend flüchten, ungebrochen an. Flüchtlinge – das ist für die Kommune kein neues Thema. Schon lange werden sie in einer Gemeinschaftsunterkunft der Stadt untergebracht. Doch was in dieser Zeit passiert, sprengt alles bisher Dagewesene: „Es war eine Zeit großer Herausforderungen und oft auch der Überforderung“, blickt sie zurück.

„Alle haben gut gearbeitet, teilweise auch weit über die eigene Kraft hinaus. Was fehlte, war die Koordination untereinander.“ Antonie Armbruster-Petersen berichtet, wie sie auf eine Stadt traf, in der an vielen verschiedenen Ecken die Ärmel hochgekrempelt wurden. Der eigentliche Ansatz der Kommunalen Konfliktberatung – nämlich der Schwerpunkt auf die Analyse und Beratung – muss vor der Realität zunächst weichen.

„Störungen haben Vorrang; wenn auch nicht immer. Aber in dieser Situation konnte ich nicht anders handeln: Wie sollen wir mit den Akteuren in eine Analyse einsteigen, wenn die aufgrund der Lage gar keinen Kopf dafür haben? Veränderungen brauchen Zeit und den Raum, sich ihnen zu öffnen“.

Alle packen mit an

Also packt die Konfliktmanagerin zusammen mit einem weiteren Kollegen vom forumZFD zunächst mit an. Sie beginnen zu netzwerken, bauen Strukturen auf. Sie initiieren einen „Runden Tisch Integration“, von dem eine Vertreterin der AWO heute sagt, man würde dort in drei Stunden die Absprachen schaffen, für die man sonst drei Wochen brauchte.

Antonie Armbruster-Petersen (rechts im Bild) beim Sommergrillfest in Ludwigslust 2016
© forumZFD/A.Armbruster-Petersen

Begegnung schaffen ist das A und O unserer Arbeit“, sagt Antonie Armbruster-Petersen. Sie trifft viele engagierte Menschen. Sie begegnet aber auch den Ängsten der Stadtgesellschaft. Eine weitere Gemeinschaftsunterkunft soll entstehen. Von der Verdopplung der Aufnahme auf über 500 Geflüchtete ist die Rede.

Die Angst vor der „Islamisierung des Abendlandes“ wächst. Die AfD ist im Aufwind – in einer Region, die unter Neonazis als „Siedlungsgebiet“ und „National befreite Zone“ gilt. Aber auch die Angst vor dem „Wie sollen wir das alles schaffen?“ bei den Ehrenamtlern und Hauptamtlerinnen. Mittendrin der parteilose Bürgermeister Reinhard Mach, der sich den Projektbeginn schon viel früher gewünscht hatte. Dass das eine mit dem anderen zusammentrifft, war letztlich ein Zufall. Für ihn ist die Kommunale Konfliktberatung eine gute Entscheidung, die er maßgeblich mit angestoßen hat.

Die Arbeit mit den Experten in der Integrationsarbeit macht es leichter, notwendige Strukturen zu schaffen, ohne dass Entscheidungen zum Spielball politischer Interessen werden: „Wir kommen gezielt nicht aus den Stadtgesellschaften, in denen wir beraten, damit wir neutral und allparteilich bleiben können“, erklärt Antonie Armbruster-Petersen. Sie begleitet die Kommunale Konfliktberatung beim forumZFD seit 2011. „Das ist zwar schwierig, aber notwendig. Alle sehen, dass ich nicht mit jemandem verbandelt bin. Der Bürgermeister ist nicht mein Vorgesetzter. Für manch einen ist es dann leichter, sich auf Veränderungen einzulassen.“ Und dass es diese strukturellen Veränderungen in der Verwaltung geben muss, daran lässt die Arbeit in Ludwigslust keinen Zweifel.

„Es ist schon spannend, hier im Rathaus zu sitzen“, meint die Beraterin. Das Büro des forumZFD liegt direkt neben dem der Öffentlichkeitsarbeit und der Wirtschaftsförderung. Auch Olaf Schmidt, der Integrationsbeauftragte, sitzt nebenan. Dass ausgerechnet Integration eine Querschnittsaufgabe ist, war hier nicht allen von Anfang an klar. Ein bisschen lacht Antonie Armbruster-Petersen noch über die Anfänge von damals: „Da stand ‚Integration von Migranten‘ auf meinem Türschild und plötzlichstanden die Geflüchteten hier Schlange. Interessant – für beide Seiten.“

Dass dort heute „Teilhabe und Vernetzung“ steht, war Teil eines Lernprozesses. Was hat beispielsweise die Wirtschaft mit den Flüchtlingen zu tun? Dass aus den fremden Gästen neue Mitglieder der Stadtgesellschaft werden können, war nicht immer so. Lange Zeit wollten die Geflüchteten von hier aus vor allem eines: weg in die Großstädte. Doch sowohl die Gesetzgebung als auch die Wohnraumsituation in den Ballungszentren geben diese Möglichkeit nur noch selten her. Aus Flüchtlingen werden nun Wohnungs- und Arbeitsuchende, Unternehmerinnen und Nachbarn. Man trifft sich in der Kita, in den Schulen, im Park und beim Eisessen.

Olaf Schmidt ist eigentlich Jugendpfleger in der Verwaltung. Ihm sind diese Themen lange vertraut. Für die Integrationsarbeit hat er sieben Stunden in der Woche Zeit: „Vieles von dem, was ein Integrationsbeauftragter leisten muss, hat zunächst Antonie übernommen“, berichtet er. Im Büro der Beraterin steht die Tür einladend offen. Gäste bekommen schon einmal einen Glückstee mit Hafermilch angeboten. Ein herzliches „Hallo!“ schallt alle paar Minuten herein oder heraus. Die „Wessidame“ ist angekommen.

Und wie geht es weiter?

Ein ehrenamtlicher Helfer hat einen Termin gemacht. Mittlerweile ist klar: Eine Gemeinschaftsunterkunft wird geschlossen. Der pensionierte Ingenieur hatte dort Schul- kindern Nachhilfeunterricht gegeben. Nun will er wissen, ob es neue Aufgaben für ihn gibt. Der Weg zu Antonie Armbruster-Petersen ist für ihn selbstverständlich: „Sie koordinieren das doch hier. Das muss schon alles seine Ordnung haben.“ Der Ehrenamtler hat verstanden, worauf es ankommt. In Zukunft wird es darum gehen, diese Arbeit in die Strukturen der Stadtgesellschaft zu übertragen. Damit Antonie Armbruster-Petersen zu ihrer eigentlichen beratenden Aufgabe übergehen kann.

Und dann ist da Rula Assad: Die Syrerin ist Psychologin und hat als Sozialarbeiterin gearbeitet. Vor zwei Jahren hat sie mit ihrer Familie in Deutschland ein neues Leben angefangen. Mittlerweile spricht sie fließend Deutsch. Ihr eigenes Engagement in der Flüchtlingsarbeit ist ihr sehr wichtig. „Sie ist eine Schlüsselakteurin und davon braucht es noch weitere; deutsche ebenso wie migrierte. Sie können als Vorbilder und Multiplikatorinnen fungieren“, sagt Antonie Armbruster-Petersen und Rula Assad nickt.

Als es am Runden Tisch um die Suche nach Wohnraum für Familien geht, fragt die Syrerin genau nach. Sie beschreibt die Erwartungshaltungen der Familien, lässt sich die Abläufe erklären und kann deshalb bei Rückfragen in Zukunft bessere Auskünfte geben. Antonie Armbruster-Petersen moderiert und gibt einen Ausblick auf die nächste Sitzung, die nur ein Thema haben soll: „Nach dem Aufbau von Strukturen müssen wir nun über Verstetigung sprechen. Das geht nur, indem wir die Aufgaben von Einzelpersonen entkoppeln.“ An manchen Stellen, das weiß sie, klappt es schon gut. Wenn beispielsweise die Pastorin aus dem Ökumenischen Hel- ferkreis für ein Internationales Picknick von sich aus die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt koordiniert.

Was genau künftig benötigt wird, darüber sollen demnächst die Ergebnisse der systemischen Konfliktanalyse Auskunft geben. Was von dem Notwendigen sich Ludwigslust leisten kann (und will), wird sich zeigen. Die Aufgaben von Antonie Armbruster-Petersen werden sich in jedem Fall wandeln. „Konflikte sind nicht nur negativ zu bewerten“, darauf legt sie viel Wert. Systematisch bearbeitet bieten sie Chancen für neue Wege. Ihre neue Kollegin Bettina Lobenberg lobt den Mut der Verwaltung in Ludwigslust: „Die Bereitschaft ist da, sich den Spiegel vorzuhalten.“

Reinhard Mach ist offen für diese Beratung. Seine Verwaltung hat sich auf den Weg gemacht. Nun muss die Integration gelingen. Tut sie das nicht, können selbst kleine Probleme eine ungeheure Strahlkraft entfalten. Antonie Armbruster-Petersen freut sich, nun den nächsten Schritt gehen zu können. Er wird auch in die Stadtpolitik führen. Noch einmal eine neue Herausforderung, die es zu meistern gilt.

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