Ohne Investitionen in zivile Mittel ist kein langfristiger Frieden möglich
Interview mit Alexander Mauz
Erhöhte Militärausgaben erreichen weder Frieden noch Sicherheit, betonte Alexander Mauz, Vorstand Programme und Qualifizierung des forumZFD, im Interview mit dem Blog 49security. Damit die Nationale Sicherheitsstrategie eine Friedensstrategie wird, sei die gezielte Förderung der Zivilgesellschaft unumgänglich.
Im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar ein sogenanntes Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro an. Der Bundestag hat dieses Anfang Juni beschlossen. Das forumZFD hatte das Vorhaben im Vorlauf zur Abstimmung deutlich kritisiert. Warum?
Die Politik hat die Verteidigungsausgaben bereits in den letzten Jahren deutlich erhöht, ohne dass es eine breite gesellschaftliche Debatte darüber gab. Es mangelt auch an politischen Entscheidungen darüber, welchen Auftrag die Bundeswehr in Zukunft erfüllen soll und wofür militärische Mittel eingesetzt werden. Die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr umfassend aufzuarbeiten. Es wäre sehr wichtig, systematisch zu untersuchen, ob Militäreinsätze der Bundeswehr tatsächlich einen Beitrag zum Frieden leisten oder ob sie Konflikte weiter eskalieren. Diese Analyse steht aber bislang noch aus, wie zum Beispiel im Fall von Afghanistan, und es wird politisch und gesellschaftlich viel zu wenig darüber diskutiert.
Unserer Erfahrung und Überzeugung nach sind Frieden und Sicherheit mit einer Aufstockung des Militärhaushalts nicht zu erreichen, sondern es braucht Investitionen in andere Maßnahmen. Es gibt aus Sicht des forumZFD keinen Grund, einen so grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ohne ausführliche Debatte im Parlament und in der Gesellschaft durchzudrücken. Wir befürchten zudem, dass diese massive Steigerung der Verteidigungsausgaben zwangsläufig zu Lasten des zivilen Engagements für Frieden und Sicherheit geht.
Die Mittel fehlen dann einfach an anderer Stelle. Ein Beispiel ist die Klimakrise: Der jüngste Bericht des Weltklimarats zeigt eindringlich, dass die Veränderungen des Weltklimas für viele Menschen schon heute ein wesentliches Sicherheitsrisiko darstellen und immer weniger Zeit für wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel bleibt. Die Folgen und Risiken des Klimawandels werden laut Weltklimarat immer komplexer und schwieriger zu bewältigen und bedürfen ministeriumsübergreifenden Interventionen. Dafür sind aktuell Finanzmittel nicht ausreichend vorhanden und auch die bestehenden Strukturen und Mechanismen gar nicht ausgerichtet.
Was es braucht, sind langfristige und nachhaltige Investitionen in die Zivilgesellschaft in Konfliktregionen. Dort müssen Friedenskapazitäten und die Bereitschaft, Konflikte gewaltfrei auszutragen gestärkt werden. Die Zivilgesellschaft ist ein zentraler Akteur bei Prävention und Frühwarnung, sie stärkt menschliche Sicherheit in Kriegszeiten und sie ist nach Waffenstillständen unverzichtbar für einen nachhaltigen Frieden.
Wir befürchten, dass diese massive Steigerung der Verteidigungsausgaben zwangsläufig zu Lasten des zivilen Engagements für Frieden und Sicherheit geht.
Russlands Krieg gegen die Ukraine dauert an, von Deutschland wird mehr Engagement gefordert – am lautesten beim Thema Waffenlieferungen. Wie passen zivile Mittel zur Krisenprävention und Konfliktbearbeitung hier ins Bild?
Waffenlieferungen verändern offensichtlich den Kriegsverlauf zu Gunsten der Ukraine. Aber ihre langfristigen Wirkungen sind unklar und bergen sehr hohe Risiken. António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat angesichts der Vielzahl aktueller Krisen und Konflikte dazu aufgerufen, mehr in Prävention und Friedensförderung zu investieren. Es gibt also auf internationaler Ebene neben dem Ruf nach Waffenlieferungen durchaus auch Forderungen nach mehr zivilem Engagement. Diesen Forderungen wird in der öffentlichen Debatte weniger Beachtung geschenkt, was sie aber weder weniger wichtig noch weniger wirksam macht.
Deutschland ist weltweit einer der größten Geldgeber für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung. Damit haben wir eine globale Vorbildfunktion. Weniger Förderung für diesen Bereich wäre ein fatales Signal für andere staatliche Akteure und Geber:innen – mit gravierenden Auswirkungen für die globale Friedenspolitik.
In der Ukraine zeigt sich gerade ganz deutlich, dass Friedensarbeit auch in Zeiten des Krieges wirksam und sinnvoll ist. Wir arbeiten vor Ort sehr eng mit Partner:innen aus der Zivilgesellschaft zusammen. Diese lokalen Organisationen und Aktivist:innen bringen zurzeit Menschen in Sicherheit, versorgen Nachbarschaften mit Lebensnotwendigem und stärken den Zusammenhalt zwischen den Menschen. Dadurch unterstützen wir langfristig die ukrainische Zivilgesellschaft und somit auch die Kapazitäten in der Gesellschaft für den weiteren Ausbau der Demokratie. Eine lebendige Zivilgesellschaft wird jetzt und vor allem nach dem Krieg zwingend gebraucht. Ohne eine starke Zivilgesellschaft ist keine menschliche Sicherheit möglich und dies muss sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung entsprechend widerspiegeln.
Welche Lehren sollte die Politik aus dem Krieg ziehen? Und welche Prioritäten bei der Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie setzen?
In Russland werden schon seit vielen Jahren Zivilgesellschaft und kritische Akteure, wie beispielsweise unabhängige Medien oder Menschenrechtsaktivisten, durch die russische Regierung systematisch bekämpft und ausgeschaltet. Nichtregierungsorganisationen wurden verboten, kritische Zeitungen und Medien dazu gezwungen, ihre Arbeit einzustellen, Aktivist:innen verhaftet und verurteilt. Dies ist meines Erachtens ein wesentlicher Faktor dafür, dass sich autokratische Systeme entwickeln können und eine fast uneingeschränkte Machtausübung möglich wird. In den letzten Jahren haben die Bundesregierung und ihre Vertreter:innen diese Entwicklungen in Russland vernachlässigt und ignoriert. Die aktuelle Bundesregierung sollte diesen Fehler nicht wiederholen.
Die Politik sollte ihre Lehren aus allen Kriegen ziehen. Aus dem Krieg in der Ukraine, aber auch etwa dem Krieg im Jemen, in dem deutsche Rüstungsexporte und somit deutsche Wirtschaftsinteressen eine schändliche Rolle spielen. Auch das Desaster in Afghanistan muss schonungslos, gründlich und ergebnisoffen aufgearbeitet werden. Das Beispiel Afghanistan zeigt deutlich: Sicherheit ist nicht gleich militärische Stärke. Bisher ist die Politik viel zu oft der traditionellen Sicherheitslogik gefolgt, die davon ausgeht, dass Sicherheit mit der Größe des Verteidigungsapparates zunimmt. In Zukunft muss Deutschland aber vielmehr systematisch seine Friedensfähigkeiten stärken. Das beginnt damit, die Mittel für zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in dieser Legislaturperiode deutlich auszubauen.
Und zu guter Letzt: Notwendig ist eine mehrdimensionale Politik, die auch gesellschaftliche Akteure jenseits von Regierungsverhandlungen nicht nur in den Blick nimmt, sondern aktiv mit ihnen zusammenarbeitet. Dies gelingt beispielsweise durch mehr Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bei Reisen deutscher Politiker:innen oder eine aktive Einbeziehung dieser Akteure in Aktivitäten deutscher Botschaften.
Die Zivilgesellschaft ist ein zentraler Akteur bei Prävention und Frühwarnung, sie stärkt menschliche Sicherheit in Kriegszeiten und sie ist nach Waffenstillständen unverzichtbar für einen nachhaltigen Frieden.
Welchen Stellenwert hat die zivile Friedenspolitik für strategische Außenpolitik und wie sollte sie konkret realisiert werden?
Zivile Friedenspolitik sollte ein wesentlicher Anker deutscher Außenpolitik werden und dazu beitragen, auch unangenehme Fragen wie etwa zur deutschen Rüstungsexportpolitik zu stellen. Es ist wichtig, dass die Nationale Sicherheitsstrategie zu einer Friedensstrategie wird. Präventiv kann der systematische und dauerhafte Ausbau von Diplomatie, Krisenprävention und ziviler Konfliktbearbeitung wesentlich zu einer friedlichen Welt und der gewaltfreien Bearbeitung von Konflikten beitragen. Abrüstung ist ein wesentlicher Teil ziviler Friedenspolitik und sollte mit ernsthaftem Interesse verfolgt werden. Initiativen für Rüstungskontrolle, Abrüstung und ein atomwaffenfreies Europa müssen auch im Rahmen einer nationalen Sicherheitsstrategie verankert und vorangetrieben werden.
Außenpolitisches Ziel muss sein, der weltweit zunehmenden Einengung von Aktivist:innen und Zivilgesellschaft, dem sogenannten shrinking spaces, wirksam entgegenzuwirken. Dazu gehört auch, Gefährdeten Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen.
Themen wie Klimakrise, Hunger und Artensterben haben wesentliche Auswirkungen auf Frieden und Konflikte und sollten viel stärker in den Vordergrund treten, anstatt den zerstörerischen Weg von Militarisierung und nationalen Egoismen zu gehen. Zu all diesen Fragen kann das Leitbild Zivile Krisenprävention als Referenz genutzt werden.
Wo sehen Sie die größten politischen und praktischen Herausforderungen dieses Ansatzes für die nächsten Jahre?
Wie von uns befürchtet, wächst der fiskalische Druck nach der 100-Millarde-Entscheidung auf die Haushaltsbereiche, die wirksam zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen könnten. Die Bekanntheit und das Wissen über Wirksamkeit, Methoden und Herausforderung von ziviler Krisenprävention sind nur in Fachkreisen vorhanden. Ein Beispiel: Viele Bundestagsabgeordnete können mittlerweile einzelne Waffensysteme detailliert beschreiben. Dahingegen ist das Wissen darum, wie wirksame, zivile Gewaltprävention und Friedensförderung aussieht und wie Politik und Regierung es stützen können, gering. Hier haben Politik, aber auch die Fachleute aus Wissenschaft, Politikberatung und Zivilgesellschaft eine Aufklärungsaufgabe, die sie aktiv angehen müssen.
Ebenso bedarf es der Entwicklung praktischer Einsatzkonzepte auch für kurzfristige zivile Friedenseinsätze, eine konsequent de-koloniale Handlungslogik und antirassistische Überprüfungen von Partnerschaftsansätzen. Ein vernetzter Ansatz von nicht-militärischen Methoden ist extrem wichtig und doch immer noch eine der großen Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit. Dies betrifft sowohl kurzfristige als auch langfristige Arbeitsprozesse, wie die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts mit dem Entwicklungsministerium oder etwa die Kooperation zwischen humanitären- und Friedensakteuren. Hierin steckt viel Potential für eine effektivere Bearbeitung von Konflikten und der Stärkung von Friedenskapazitäten.
Dieses Interview wurde zuerst auf 49security veröffentlicht, einem Projekt des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung.