Auf dem Marathon-Gipfel vom vergangenen Wochenende haben sich die Staats- und Regierungschef*innen der Europäischen Union nach langen und kontroversen Verhandlungen auf ein Gesamtpaket geeinigt. Dieses umfasst sowohl den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen, der die zentralen Eckpunkte des neuen EU-Haushalts für die kommenden sieben Jahren festlegt (2021-2027), als auch ein Corona-Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro. Die auf dem Gipfel erzielte Einigung sieht gemeinschaftliche Ausgaben und Schuldenaufnahme in bislang nie dagewesenem Umfang vor. Bei aller Kritik im Detail ist das ein Zeichen innereuropäischer Solidarität in der Krise.
Eine Einigung mit hohem Preis
Doch der Kompromiss hat zahlreiche Schattenseiten. Die Staats- und Regierungschef*innen hatten vor allem die eigenen, nationalen Interessen im Blick auf Kosten gemeinsamer europäischer Zukunftsinvestitionen in nachhaltige Entwicklung und zu Lasten globaler Solidarität. Die Budgets für Landwirtschaft sowie Wirtschafts- und Strukturförderung wurden erhöht, für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung werden dagegen von 2021 bis 2027 weniger Mittel bereitgestellt.
Wie fällt die Bewertung also aus friedenspolitischer Sicht aus? Das forumZFD hatte 2019 im Vorfeld der Europawahl gemeinsam mit 110 Organisationen und unterstützt von mehr als 23.000 Bürger*innen im Aufruf „Rettet das Friedensprojekt Europa“ Forderungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen aufgestellt. Unter anderem hatten wir an die neugewählten EU-Abgeordneten appelliert, die Europäische Union nicht zu einer Militärmacht aufzurüsten und stattdessen im nächsten EU-Haushalt die Mittel für gewaltfreie Konfliktbearbeitung und für die Förderung von Frieden, Menschenrechten und Demokratie zu erhöhen.
Weniger Geld für Verteidigung und Rüstungsindustrie
In dem Entwurf, den die Staats- und Regierungschef*innen nun vorgelegt haben, wurden die Budgets für Sicherheit und Verteidigung sowie Migrationskontrolle gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission deutlich reduziert. Der von uns abgelehnte Europäische Verteidigungsfonds, ein Subventionsprogramm für die europäische Rüstungsindustrie, wurde von 13 Milliarden auf 7 Milliarden reduziert. Die neue sogenannte Europäische Friedensfazilität, ein eigener Finanzierungstopf für gemeinsame Militäreinsätze und Militärhilfe für Staaten außerhalb der EU, soll nur 5 Milliarden Euro statt 10 erhalten. Das ist aus unserer Sicht trotzdem noch zu viel und die damit verbundenen Risiken, allen voran noch mehr europäische Waffenexporte in Krisen- und Konfliktregionen, bleiben bestehen. Die sogenannte Friedensfazilität kann auch mit einem geringeren Budget viel Schaden anrichten, wenn die Finanzierung von Waffen, Munition und anderer Kampfausrüstung nicht explizit ausgeschlossen wird.
Für die EU-Nachbarschaftspolitik sowie für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit sollen von 2021 bis 2027 70,8 Milliarden Euro bereitstehen. Das entspricht einer Kürzung um 9 Milliarden Euro gegenüber dem Kommissionsvorschlag. Wir hatten in diesem Budgetbereich eine Verdreifachung der darin enthaltenen Mittel für gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Menschenrechte gefordert. Nun werden ab 2021 noch weniger Mittel dafür zur Verfügung stehen als bislang. Wie will die Europäische Union ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht werden, den Frieden zu fördern, wenn sie dafür immer weniger Mittel bereitstellt?
Jetzt kommt es auf das EU-Parlament an
Es besteht noch eine kleine Chance, diese Kürzungen abzuwenden: Das EU-Parlament muss dem Entwurf der Staats- und Regierungschef*innen noch zustimmen. Voraussichtlich im September werden die Abgeordneten über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen abstimmen. Bereits in den kommenden Tagen beginnen die Verhandlungen zwischen dem Europäischen Rat unter deutschem Vorsitz und den Vertreter*innen des EU-Parlaments. Wir fordern die Abgeordneten auf, sich in diesen Verhandlungen für das Friedensprojekt Europa stark zu machen (zum Aufruf).
Vor der Europawahl 2019 hatte das alte Parlament in einer Positionierung zum Entwurf der EU-Kommission bereits eine, wenn auch moderate, Erhöhung der Mittel für „Demokratie und Menschenrechte“ sowie „Stabilität und Frieden“ gefordert. Jetzt kommt es also auf die neugewählten Europaabgeordneten an. Sie müssen sich mit allem Nachdruck für diese Position einsetzen.
AUFRUF
an den Rat der Europäischen Union
an das Europäische Parlament
an die Präsidentin der Europäischen Kommission
Europa als Friedensprojekt stark machen
Jetzt handeln. Für Frieden. Für Menschenrechte.
Die Corona-Krise zeigt uns: Bislang scheinbar Unmögliches wird machbar, wenn Entschlossenheit und politischer Wille zusammenkommen. Jetzt muss Europa solidarisch handeln. Jetzt brauchen wir jeden Euro für den Aufbau einer gerechten, nachhaltigen und friedlichen Welt...