Jeder friedenslogische Schritt hilft

Wege aus der Kriegslogik

Was bedeutet es angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, aus einer Perspektive der Friedenslogik über Wege aus dem Krieg nachzudenken? Antworten darauf gibt Friedensforscherin Dr. Sabine Jaberg.
Friedenslogik Ukrainekrieg
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Friedenslogik bedeutet, vom Ziel des Friedens her zu denken und sich in Analyse und Praxis von dessen Prinzipien leiten zu lassen. Sie zielt auf Verhinderung und Abbau von Gewalt, die sie als Folge komplexer Konflikte begreift. Diese Konflikte will sie konstruktiv transformieren, wobei sie eigene Anteile an der Problemgenese einbezieht. Friedenslogik setzt daher auf kooperative, deeskalierende und gewaltfreie Konfliktbearbeitung, die das Leid der Menschen und die Folgen für die Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Sie orientiert sich primär an universellen Normen wie dem Völkerrecht und den Menschenrechten. Im Falle von Misserfolgen ist sie zur Selbstreflexion und Selbstkorrektur disponiert, bleibt aber dem Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet.

Wege zu friedenslogischem Denken und Handeln gibt es viele. Ein religiöser oder säkular begründeter Pazifismus ist da bestimmt hilfreich. Es kann aber auch die pragmatische Einsicht in die Aussichtslosigkeit gewaltsamer Maßnahmen oder – wie im Falle des Ukraine-Kriegs – die Angst vor der Eskalation in einen Atomkrieg ausschlaggebend sein.

Wie die Bundesregierung friedenslogisch handeln kann

Angesichts der anhaltenden militärischen Eskalation und Gewalt in der Ukraine müssen wir zunächst einräumen, dass die Optionen der Bundesregierung zur schnellen Beendigung des Krieges gering sind. Es ist einfacher zu sagen, was wir nicht machen sollten: Wir sollten alles unterlassen, was die Gefahr erhöht, dass die NATO zur Kriegspartei wird. Das Bündnis hat zwar erklärt, dass es das nicht will. Allerdings balanciert es schon längst auf einem ganz schmalen Grat. Dazu gehören nicht nur die Lieferungen immer leistungsfähigerer Waffen, sondern auch die Initiativen osteuropäischer Mitglieder für eine NATO-„Friedensmission“ und einzelne Sympathiebekundungen für eine militärisch zu gewährleistende Flugverbotszone, die die Allianz bislang noch ablehnt.  Und vor allem: Die Entscheidung darüber, ob die Maßnahmen der NATO als Kriegseintritt gelten, fällt nicht Brüssel, sondern Moskau. Das Austesten von Putins Schmerzgrenze gleichsam im Feldversuch grenzt an Russisch Roulette. Waffenlieferungen beenden den Krieg nicht, sondern drohen ihn zu verlängern und zu brutalisieren. Sie wären daher einzustellen: Denn je heftiger die militärische Gegenwehr, desto mehr dürften die russischen Streitkräfte die Wucht und die Rücksichtslosigkeit ihrer Angriffe erhöhen. Schon jetzt sind die Kriegsfolgen katastrophal. Am Ende aber dürfte all das vernichtet sein, was es eigentlich zu schützen gälte.

Dass sich in Deutschland der Rechtfertigungsdruck im öffentlichen Diskurs zusehends von den Anhänger*innen militärischer Unterstützung hin zu deren Kritiker*innen verlagert, konterkariert das Friedensgebot unserer Verfassung.

Auf den ersten Blick könnten die bereits eingeleiteten ökonomischen und finanziellen Sanktionen eine friedenslogische Alternative zur militärischen Aufrüstung der Ukraine darstellen. Aber auch sie führennicht aus dem Krieg heraus, sondern weiter in die Eskalation hinein – auch mental: Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht Deutschland mittlerweile als „Wirtschaftskriegspartei“. Und zum demokratischen Wandel haben Sanktionen in der Vergangenheit ohnehin kaum beigetragen, sondern eher diktatorische Regime gestärkt. In Russland sehen wir bereits Anzeichen dafür, dass sich die Bevölkerung um die russische Fahne schart. Die Zustimmung für Putin ist auf über achtzig Prozent gestiegen.

Folglich bleibt der Bundesregierung nur der politische Königsweg zur Gewaltbeendigung: Diplomatie auf allen Ebenen und Kanälen. Solange der Krieg fortdauert, kommt eine weitere Aufgabe hinzu: die friedenslogische Bearbeitung seiner Begleiterscheinungen. Dazu gehört, sich dafür einzusetzen, dass Menschen freien und ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe erhalten, aber auch dass alle, die das wollen, Kampfregionen und gegebenenfalls das Land sicher verlassen können – das schließt Kriegsdienstverweigerer und Deserteur*innen sämtlicher Parteien ein.

Nicht nur die Politik ist gefragt

Jede*r von uns kann im Rahmen der eigenen Möglichkeiten friedenslogisch handeln: sich im öffentlichen Raum wie im privaten Umfeld gegen den Militarisierungskurs positionieren, Verharmlosungen des Angriffskriegs widersprechen, Sanktionsexzesse gegenüber russischen Menschen nicht hinnehmen, Kirchen und religiöse Oberhäupter zu mehr friedenslogischem Engagement auffordern sowie Geflüchteten beim Fußfassen hierzulande helfen. Wer möchte, kann auch Kontakte zu Organisationen der zivilen Konfliktbearbeitung und der humanitären Hilfe aufnehmen oder deren Arbeit finanziell unterstützen.

Wir dürfen uns nur nicht von den täglichen Horrormeldungen und der Monstrosität der Aufgabe lähmen lassen, sondern müssen sie als Ansporn begreifen. Jeder friedenslogische Schritt hilft.

Dr. Sabine Jaberg ist Politologin und Friedensforscherin. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedenslogik der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.