Erst nach weiteren zehn Jahren zäher Verhandlungen mit erneuten Rückschlägen wurde im vergangenen Jahr ein Grundlagengesetz ratifiziert, das viele Forderungen der Muslime nach mehr Autonomie erfüllt. Mit dem erfolgreichen Referendum Anfang 2019 ist die Hoffnung groß, dass dieser Bürgerkrieg im Süden der Philippinen nach fast fünf Jahrzehnten endet. Auch für das forumZFD und seine Partner ist das ein großer Erfolg. Doch die Arbeit für den Frieden muss weitergehen.
„Alhamdulilla!“ Wer sich am 30. Mai 2018 auf der Facebook-Seite des Philippinen-Programms des forumZFD einloggte, konnte diese Meldung garantiert nicht übersehen: „Der Dank gebührt Allah!“ Anlass für Erleichterung und Freude war die Verabschiedung des sogenannten Grundlagengesetzes der Bangsamoro in dritter und letzter Lesung sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Mit der Unterschrift des philippinischen Präsidenten Duterte wurde daraus zwei Monate später geltendes Recht.
Per Referendum votierte Anfang 2019 die Mehrheit der Menschen in fünf Provinzen, zwei Großstädten, 116 Städten und 63 Dörfern für die Aufnahme in die neu geschaffene „Autonome Region Bangsamoro in muslimisch Mindanao“, kurz BARMM. Übersetzt bedeutet Bangsamoro „Nation der Moros“. Allerdings schlossen sich nicht alle muslimischen Regionen Mindanaos an.
„Die Mitarbeitenden des forumZFD auf Mindanao teilten die Freude mit den vielen Menschen, die ihre Erleichterung auch in sozialen Medien ausdrückten“, erinnert sich Mohaledin Dimaukom. Seit 2017 ist „Bobet“, wie alle ihn nennen, Projektleiter des forumZFD in Cotabato City, dem politischen und administrativen Zentrum der Bangsamoro-Region. Wer die besondere Identität und Kultur der Moros und die weitreichende Bedeutung des Referendums verstehen will, kommt nicht umhin, sich auf eine Zeitreise durch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zu begeben.
Als Moros (Mauren) bezeichnete die spanische Kolonialmacht philippinische Muslime, auf die sie bei ihrer Ankunft im 16. Jahrhundert im Süden des Archipels traf. Vor allem im Widerstand gegen Kolonialmächte wurde der Islam zu einer Kernidentität der Moros und zum immer wieder Einigkeit stiftenden Zusammenhalt im Streben nach Selbstbestimmung.
Während es den Spaniern in mehr als drei Jahrhunderten nicht gelang, die Kontrolle über weite Teile Mindanaos und des Sulu-Archipels zu erlangen, wurden die politischen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Institutionen und Strukturen im Süden der Philippinen nach der Annexion des Landes durch die USA im Jahr 1898 radikal verändert. In brutalen „Befriedungs“-Feldzügen wurden die Moros bis 1913 militärisch fast vollständig unterworfen. In den folgenden Jahrzehnten wurde Mindanao, das fruchtbare „Land der Verheißung“, für den Zuzug Hunderttausender Menschen aus den nördlichen und mittleren Philippinen geöffnet. Herrschende Moro-Familien wurden mit politischen Ämtern und Alimentierung eingebunden.
Die Anliegen von Muslimen und indigenen Völkern sollten seit 1917 spezielle Regierungsagenturen vertreten, die immer wieder umstrukturiert und umbenannt wurden. An der faktischen Politik nationaler Integration oder gar Assimilierung der Minderheiten hat sich indes bis heute wenig geändert. Kaum erstaunlich, dass ab den späten 1960er-Jahren, in einer Ära globaler Auflehnung meist junger Menschen gegen erstarrte autoritäre Ordnungssysteme, im vorwiegend muslimischen Teil Mindanaos erneut bewaffneter Widerstand gegen die Zentralregierung organisiert wurde, die bis heute nicht nur von muslimischen Bewohnern der Inselgruppe oft als „imperiales Manila“ wahrgenommen wird.
Bemühungen, den Konflikt beizulegen, hatten bereits im Jahr 1975 begonnen und führten zum Tripolis-Abkommen von 1976. Dennoch wechselten jahrzehntelang Phasen von Krieg und oft porösen Waffenstillständen. Die Zahl der Opfer wurde zwar nicht systematisch erfasst, doch nach seriösen Schätzungen kamen in diesem Konflikt zwischen 120.000 und 150.000 Menschen ums Leben. Mindestens drei Millionen Zivilisten wurden durch die Kämpfe vorübergehend oder dauerhaft vertrieben.
Eine Sezession war das ursprüngliche Ziel der Rebellenorganisation Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF), die bis 1996 exklusiver Verhandlungspartner der Regierung war und im selben Jahr ein „endgültiges“ Friedensabkommen schloss.
Ab 1997 verhandelte die philippinische Regierung ernsthaft nur noch mit der politisch und militärisch zur stärksten Kraft aufgestiegenen Moro Islamic Liberation Front, kurz MILF, die sich 20 Jahre zuvor von der MNLF abgespalten hatte. Als moderierende Drittpartei spielte Malaysia viele Jahre eine wichtige Rolle. Der entscheidende Durchbruch gelang Anfang Oktober 2012 in Kuala Lumpur. Am 15. Oktober wurde das dort ausgehandelte Rahmenabkommen für einen Friedensprozess in Anwesenheit des malaysischen Premiers Razak und des philippinischen Präsidenten Aquino in Manila unterzeichnet. Am 27. März 2014 folgte eine umfassende Friedensvereinbarung, mit der die Weichen für die Gründung der zweiten autonomen muslimischen Region gestellt wurden. Im Jahr 2018 trat schließlich das Bangsamoro Organic Law in Kraft. Und nach dem Referendum Anfang des Jahres 2019 wurde die 80-köpfige Übergangsregierung für die neue autonome Region ins Amt eingeführt.
Auch für die vielen Organisationen, die sich in Mindanao seit Jahren für den Friedensprozess engagieren, ist damit ein wichtiger Meilenstein erreicht. Das forumZFD hat zehn Jahre lang mit einem überschaubaren Budget und einem kleinen Team den Friedensprozess begleitet. In Cotabato City und in Zentral-Mindanao unterstützte das Team vor allem Entscheidungsträger des Friedensprozesses in der Regierung und der oppositionellen MILF dabei, die betroffenen Menschen immer wieder über die Verhandlungen zu informieren und Transparenz zu gewährleisten. Mit vom forumZFD angestoßenen Friedensforen in Kommunen ist es zum Beispiel gelungen, wenig beachtete Themen wie die Belange marginalisierter Bevölkerungsgruppen in den Fokus zu rücken.
Gemeinsam mit dem „Kutawato Multimedia Network“, einem Konsortium lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen, strahlt das forumZFD seit 2013 die wöchentliche Radiosendung „Bangsamoro heute: Stimme des Friedens“ aus. Jeden Donnerstag werden Nachrichten zum Friedensprozess in die gesamte Bangsamoro-Region gefunkt. Die Bevölkerung diskutiert dabei genauso mit wie Sprecher der Rebellen und Vertreterinnen der Regierung. Selbst aus den entlegensten Regionen schalten sich Bürger ein.
„Ich glaube, der wichtigste Beitrag besteht darin, die Bevölkerung über den Bangsamoro-Friedensprozess auf dem Laufenden zu halten und ihr Raum für ihre Hoffnungen und Sorgen zu geben“ meint Daniel Ong, langjähriger Kollege und Mitinitiator der Radiosendung. Die Sendung hilft, Vorurteile zu verringern. Es erzeugt ein Gefühl von Beteiligung und Gemeinsamkeit. Das Team der Sendung ist in konfliktsensiblem Journalismus ausgebildet. Es wählt Themen und Gesprächspartner umsichtig aus und informiert so über den Konflikt, dass er nicht noch verschärft wird.
Die deeskalierende Wirkung des Radios hat sich schon mehrfach gezeigt. Als die Stimmung in der Bevölkerung 2016 hochkochte, weil der Gesetzentwurf zur Autonomie der Bangsamoro-Region nicht durch den Senat kam, konnte die Sendung die Wut und Sorgen vieler Menschen
auffangen. Die öffentliche Diskussion im Radio trug dazu bei, dass es ruhig blieb und dass die Menschen die Hoffnung auf Frieden nicht aufgaben.
In einigen Situationen hat das Radio ganz klar dazu beigetragen, Konflikte zu deeskalieren und weiterer Gewalt vorzubeugen. Zum Beispiel rief einmal der Sprecher der „Bangsamoro Islamic Freedom Fighters“ in der Sendung an, um seine Position zu einem Zusammenstoß mit dem philippinischen Militär zu erklären. Zuvor hatte der Sprecher des Militärs seine Sichtweise erläutert. Anfangs gab es gegenseitige Schuldzuweisungen. Durch den Austausch entstand jedoch langsam eine ausgewogene Sachlage. Schließlich stellte sich heraus, dass der Zwischenfall durch ein Missverständnis provoziert worden war.
Das Radio konnte eine Brücke zwischen den Kontrahenten bauen und Sorge dafür tragen, dass sich derartige Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen. Die Moro Islamic Liberation Front bedankte sich sogar auf ihrer Webseite bei KuMuNet und forumZFD für deren Arbeit. Besonders begeistert ist Projektleiter Bobet Dimaukom darüber, dass es gelungen ist, unter der Hörerschaft Dialog in Gang zu setzen.
Die MILF muss nun den Wandel schaffen von einer „bewaffneten revolutionären Organisation“ zur zivilen Bangsamoro-Gerechtigkeitspartei mit Regierungsverantwortung. Die Herausforderungen sind groß und vielfältig: Entwaffnung und Integration der MILF-Kämpfer, Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Fragen von Landbesitz und Schlichtung oft gewaltsam ausgetragener Landkonflikte, bessere Berücksichtigung der Belange der indigenen Bevölkerung, Aussöhnung und Aufarbeitung und vieles mehr. „Nach deren Amtseinführung sind die Erwartungen der Menschen auf ein besseres Leben sprunghaft angestiegen“, beobachtet Bobet Dimaukom mit berechtigter Sorge: „Die Übergangsregierung muss jetzt nachweisen, dass sie die richtigen Leute für die Aufgabe hat. Die wollen ja nicht nur kurz im Amt sein und die ihnen übertragenen Machtbefugnisse missbrauchen, nachdem sie dafür 40 Jahre hart gearbeitet haben.“
In Friedensprozessen ist die Umsetzung von Abkommen eine extrem anfällige Phase. Sie kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung in ihrer ganzen Vielfalt in die Gestaltung der oft langwierigen Strukturreformen eingebunden wird. Dimaukom ist da zuversichtlich, weil zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen diesen Prozess in Mindanao begleiten werden.
Mit zwiespältigen Gefühlen sehen Teile der philippinischen Zivilgesellschaft, dass Projekt- und Mittelzusagen internationaler Geldgeber zur wirtschaftlichen Entwicklung jetzt enorm zunehmen und auch zahlreiche neue internationale NGOs in die autonome Region strömen. In der Vergangenheit hatten ausländische Regierungen und Investoren in der Regel groß angelegte kommerzielle Vorhaben bevorzugt, auch mit dem Argument, dass sie rasch Beschäftigung generieren würden. Ölpalmen- und Kautschukplantagen sowie Bergbauprojekte werden auch jetzt wieder auf deren Wunschzettel stehen.
Balázs Kovács, forumZFD-Landesdirektor in Mindanao, bezweifelt den viel beschworenen Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung
und Frieden. Er beobachtet: „Projekte zur Wirtschaftsentwicklung durch Privatinvestoren können auch zur Verschärfung von Konflikten und Gewalt führen, besonders bei extraktiven Industrien wie Bergbau, Holzwirtschaft und Großplantagen.“
Insgesamt zieht er ein vorsichtig optimistisches Fazit der jüngsten Entwicklung: „Obwohl die Friedensvereinbarung den gewaltsamen Konflikt in Muslim Mindanao nicht beendet, wird sie erheblich zu einem Rückgang von Gewalt und zu einer ‚Normalisierung‘ beitragen.“ Die Grundlage für einen nachhaltigen Frieden ist also gelegt, jetzt müssen die Menschen Schritt für Schritt den Weg in eine friedvollere Zukunft gehen.
Gebhard Körte ist Journalist und war bis Ende 2016 als Friedensberater des forumZFD in Mindanao, Philippinen.