Wir können uns selbst ermächtigen, um etwas in der Welt zu verändern

Interview mit Clara Tempel, Gründungsmitglied des Jugendnetzwerks für politische Aktionen (JunepA)

Das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (JunepA) gewann am 1. September den Aachener Friedenspreis. Wir haben Clara Tempel, Gründungsmitglied der Gruppe, getroffen und sprachen mit ihr über das Engagement und die Arbeit von JunepA.
Clara Tempel erhält den Aachener Friedenspreis
© Gary Evans

Clara Tempel hat im Jahr 2013 mit Freundinnen und Freunden das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (JunepA) gegründet. Das Netzwerk verbindet rund 30 Jugendliche. Sie haben sich unter anderem an Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Kohlekraftwerke, gegen die Stationierung von Atomwaffen und gegen Rüstungsproduktion beteiligt. Am 1. September wurde JunepA mit dem renommierten Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Clara Tempel wuchs im Wendland auf und war schon als Kind mit ihren Eltern bei Protesten gegen Atommülltransporte dabei. Ihre Großeltern Helga und Konrad Tempel initiierten die ersten Ostermärsche in Deutschland und waren maßgeblich an der Gründung des Forum Ziviler Friedensdienst beteiligt.

Herzlichen Glückwunsch zum Aachener Friedenspreis! Wie haben Sie die Nachricht zur Verleihung des Preises an JunepA aufgenommen?

Clara Tempel: Ich hab mich total gefreut. Wir hatten gerade ein JunepA-Treffen, als uns die Nachricht per Telefon mitgeteilt wurde, und waren total überrascht. Wir kennen andere Preisträger, hätten aber nie in Erwägung gezogen, dass wir den Preis einmal selbst erhalten. Die Preisverleihung am 1. September war wirklich sehr schön – wir sind dort so vielen Menschen begegnet, die unser Engagement wertschätzen. Das passiert uns sonst selten.

Bekommt ihr auf euer Engagement auch viele ablehnende Reaktionen?

Clara Tempel: Oh ja. Vor allem über die sozialen Medien kommen oft Kritik und unsachliche Kommentare. Auch direkt bei unseren Aktionen hören wir oft den Vorwurf, wir hätten keine Arbeit und dass wir das alles nur machen würden, weil wir nichts anderes zu tun hätten. Das stimmt aber nicht: Wir nehmen uns extra frei, um diese Aktionen zu machen.

Und wie kommt euer Engagement bei anderen Gleichaltrigen an?

Clara Tempel: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Gleichaltrige, die das gar nicht verstehen können, weil sie ganz andere Leben leben und sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Es gibt aber auch andere, die sehr bewundern, was wir machen. Von denen hören wir zum Beispiel: „Selber will oder kann ich nicht Teil von so einer Gruppe sein, aber ich finde total bewundernswert, was ihr macht.“

Was hat euch eigentlich dazu gebracht, dieses Netzwerk zu gründen?

Clara Tempel: Das war im Jahr 2013. Ein paar meiner Freunde und Freundinnen waren in Jugendgruppen von BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz, d. Red.) und von Greenpeace aktiv. Viele von ihnen waren unzufrieden mit den Einschränkungen vonseiten der Elternorganisationen – etwa das Verbot von Aktionen zivilen Ungehorsams. Also haben wir überlegt, wie wir als junge Menschen selbstbestimmt Aktionen zivilen Ungehorsams durchführen können. So entstand die Idee, eine ganz unabhängige Gruppe zu gründen.

Warum war euch die Unabhängigkeit so wichtig?

Clara Tempel: Bei unseren Aktionen geht es um unsere Zukunft. Darum ist es uns wichtig, dass wir ganz selbstbestimmt handeln können und nicht immer erst Erwachsene um Erlaubnis fragen müssen.

JunepA hat sich an unterschiedlichen Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligt: am Atomwaffenstandort Büchel, vor der Brennelementefabrik in Lingen, der Fabrik des Rüstungsherstellers Rheinmetall und am RWE-Braunkohletagebau im Rheinland.

Was macht ihr anders als eure Eltern- oder Großelterngeneration?

Clara Tempel: So viel anders ist es nicht. Bei JunepA sind viele Menschen, die von ihren Familien zum Aktivismus inspiriert wurden. Ich selbst habe von meinen Eltern und Großeltern früh politischen Aktivismus mitbekommen. Von ihnen habe ich das meiste Handwerkszeug gelernt. Neu ist in den jungen Bewegungen wie unserer vielleicht, dass wir unterschiedliche Themenbereiche verbinden. Wir konzentrieren uns nicht auf ein Thema, zum Beispiel nur auf Frieden oder nur auf Umwelt. Wir verbinden sie miteinander, weil wir der Meinung sind, dass es notwendig ist, um eine ganzheitliche Veränderung zu erreichen.

Kann man auch sagen, dass ihr ein anderes Verständnis von Frieden habt als ältere Generationen?

Clara Tempel: Ja, das kann schon sein. Wir verstehen unter Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg oder Gewalt, sondern auch eine Alternative der Energieherstellung ohne Kohle und Atom, hierarchiefreie Umgangsformen oder die Öffnung von allen Grenzen. Das alles gehört für uns zum Frieden dazu.

Gibt es denn auch politische Fragen, bei denen du dir mit deinen Eltern oder deinen Großeltern nicht einig bist?

Clara Tempel: Tatsächlich ganz wenig. Wir sprechen oft über mein politisches Engagement, aber es gibt nicht viele Fragen, in denen wir nicht einer Meinung wären. Meine Großeltern würden vielleicht nicht oder nicht mehr so weit gehen wie ich. Aber sie finden trotzdem gut und richtig, was ich da mache. Der zivile Ungehorsam ist unser gemeinsames Thema – für meine Großeltern eher aus einer theoretischen Perspektive. Sie haben die Schrift über den zivilen Ungehorsam von Henry David Thoreau auf Deutsch veröffentlicht. Ich beschäftige mich ganz praktisch mit zivilem Ungehorsam als Mittel bei unseren Aktionen.

Was macht zivilen Ungehorsam für Sie aus?

Clara Tempel: Ziviler Ungehorsam ist für mich das bewusste Überschreiten von Regeln oder Gesetzen, die dazu da sind, einen Prozess oder einen Zustand des Unrechts aufrechtzuerhalten. Ich finde es total wichtig, dass Menschen nicht blind irgendwelchen Gesetzen folgen. Stattdessen sollten die Menschen auf ihr eigenes Gewissen hören, wenn sie handeln. Das bedeutet nicht, dass ich wahllos irgendwelche Gesetze übertrete, sondern ich tue es ganz bewusst und gezielt. Ich übertrete nur solche Gesetze, die sich direkt auf das Unrecht beziehen, was ich verhindern will. Wir bei JunepA haben den zivilen Ungehorsam als Methode für uns ausgewählt, weil wir uns in Fragen engagieren, wo auf dem legalen Weg – mit Demonstrationen, Petitionen oder juristischen Verfahren – schon viel versucht wurde, aber ohne Erfolg. Dann, meinen wir, ist es nötig und legitim, zivilen Ungehorsam zu leisten. Er ist ein sehr kraftvolles Mittel, weil man nicht mehr nur fordert und an die Politik appelliert, sondern selbst aktiv wird.

... verbunden mit persönlichen Risiken ...

Clara Tempel: Genau. Das gibt dem zivilen Ungehorsam so viel Kraft. Menschen gefährden ein Stück weit ihre persönliche Zukunft, denn sie riskieren zum Beispiel Eintragungen im Strafregister, Bußgelder oder Gefängnisstrafen.

Wie bereitet ihr die Teilnehmenden auf die Aktionen vor?

Clara Tempel: Es ist uns sehr wichtig, dass die Leute ein paar Tage vor der eigentlichen Aktion ankommen, sodass wir genug Zeit miteinander für die Vorbereitung haben. Dazu machen wir Trainings und organisieren, je nachdem wie groß die Aktion ist, auch Vorträge zu juristischen Fragen. Diese Vorbereitung und eine gemeinsame Nachbereitung sind uns genauso wichtig wie die eigentliche Aktion.

Drei Generationen von Friedensaktivistinnen: Helga Tempel, Gründerin und Ehrenvorsitzende des forumZFD, Katja Tempel, engagiert in der Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland, und Friedenspreisträgerin Clara Tempel.

Sie stehen im September und Oktober mit weiteren Aktivistinnen und Aktivisten von JunepA vor Gericht.

Clara Tempel: Ja. Wir haben im September letzten Jahres in Büchel die Landebahn des Fliegerhorstes besetzt, wo die amerikanischen Atomwaffen gelagert sind und deutsche Soldaten das Abwerfen von Atombomben üben. Jetzt wird uns Hausfriedensbruch vorgeworfen.

Steht ihr zum ersten Mal vor Gericht für eine eurer Aktionen?

Clara Tempel: Nein, das ist nicht das erste Mal. Wir standen schon einmal für eine Aktion an der Brennelementfabrik in Lingen vor Gericht. Es gab keinen Freispruch, aber eine Einstellung des Verfahrens, weil es nicht genug Beweise gab.

Was erwarten Sie von dem nächsten Verfahren?

Clara Tempel: Ich kann nicht abstreiten, dass ich mir auch Sorgen mache. Vor Gericht zu stehen, geht nicht einfach so an mir vorbei, denn da geht es für mich um Geldstrafen und Eintragungen im Strafregister. Andererseits habe ich nichts getan, das ich verstecken oder wofür ich mich schämen muss. Das macht mich selbstsicher. Wir haben nicht viel zu verlieren, weil wir den Prozess politisch führen werden. Wir werden nicht leugnen, dass wir auf dem Gelände des Fliegerhorstes gewesen sind, sondern sagen, dass wir unsere Aktion für notwendig und legitim halten. Wir wollen dieses Verfahren nutzen, um das Thema nochmals in die Öffentlichkeit zu bringen.

Und wann hat sich Ihr persönliches Risiko auch gelohnt?

Clara Tempel: Ich glaube, dass jede einzelne Aktion, jedes einzelne Gerichtsverfahren und jeder Moment, in dem Leute etwas riskieren, schon kleine Erfolge sind. Denn sie verändern ganz langsam etwas im Bewusstsein der Menschen. Deswegen habe ich großes Vertrauen, dass wir mit allem, was wir tun, Schritt für Schritt zu unserem Ziel kommen. Es gibt ja Fortschritte in der Welt der Politik, wie zum Beispiel den neuen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, den so viele Staaten unterschrieben haben – nur Deutschland leider immer noch nicht. Es passieren also auch gute Dinge, und ich glaube, dass wir einfach viel Geduld und Zuversicht brauchen, dass wir etwas zum Besseren verändern können.

Welche Werte und Motivationen verbinden die Mitglieder von JunepA?

Clara Tempel: Das ist tatsächlich ganz unterschiedlich. Es gibt Leute bei uns, die ihre Motivation aus dem Glauben heraus ziehen. Andere Mitglieder haben überhaupt nichts mit Kirche und Spiritualität am Hut, sondern sind einfach total wütend auf die Verhältnisse, auf den Staat oder sie wollen den Staat abschaffen und ganz ohne Herrschaft leben. Dann gibt es Leute, die in den Parteijugenden aktiv sind und somit noch Hoffnung in das Parteiensystem legen, und wieder andere, die einfach frei und selbstbestimmt ihren Aktivismus ausleben wollen. Trotz dieser Unterschiede bekommen wir es irgendwie gut hin, uns darauf zu einigen, was wir machen wollen. Es gibt eine ähnliche Kraft, die uns treibt.

Können Sie noch genauer sagen, was JunepA als Gruppe zusammenhält?

Clara Tempel: Dass wir gemeinsam das Gefühl haben, dieser Ohnmacht ein bisschen entgehen zu können. Die Ohnmacht, die man spürt, wenn man sieht, was alles Schreckliches in der Welt passiert und was alles dagegen getan werden müsste. Im gemeinsamen Anpacken, bei unseren Aktionen, merken wir, dass wir uns selbst ermächtigen können, um etwas in der Welt zu verändern.

Was ändert sich mit Auszeichnung durch den Aachener Friedenspreis zukünftig für JunepA?

Clara Tempel: Wir machen das nicht, um solche Preise zu bekommen. Darum werden wir uns nicht ändern. Doch die Medienaufmerksamkeit ist mit dem Aachener Friedenspreis etwas gewachsen und wir sind etwas bekannter geworden.

Dann wird das Netzwerk bald sicher größer werden?

Clara Tempel: Das wissen wir selbst noch nicht ganz genau. Wir haben nicht festgelegt, dass wir immer mehr werden wollen. Das passiert so langsam automatisch, aber es entscheiden sich auch immer wieder Menschen dazu, nicht mehr so viel Arbeit in JunepA zu investieren. Die Strukturen, wie wir sie gerade haben, können auch nicht unendlich wachsen. Die letzten Aktionen haben so viele Kapazitäten in Anspruch genommen, dass wir jetzt erst einmal in Ruhe gucken müssen, wie es weitergeht.

Wie geht es denn für Sie persönlich weiter?

Clara Tempel: JunepA ist mein politisches Zuhause. Deswegen kann ich mir gar nicht vorstellen, dass es vielleicht irgendwann JunepA nicht mehr gibt oder dass ich nicht mehr Teil davon bin. Der Name JunepA steht für JUGENDnetzwerk für politische Aktionen. Irgendwann bin ich also entweder zu alt dafür oder wir müssen uns umbenennen (lacht). So wie es jetzt aussieht, werde ich auf jeden Fall in den nächsten Jahren weiter bei JunepAaktiv sein, weil ich das genau so gestalten kann, wie es zu meinem Leben passt.

Ich danke für das Gespräch und wünsche JunepA viel Erfolg für die Zukunft!