Kindheit im Krieg
Seine Kindheit verbrachte Ghanem in Aley, der viertgrößten Stadt des Libanons. Er wuchs in einfachsten Verhältnissen auf, seine Mutter Hausfrau, der Vater Hilfsarbeiter auf dem Bau. Sein Vater konnte sich den Umzug mit der Familie in ein sichereres Viertel nicht leisten, so verbrachte Ghanem seine Kindheit im Randgebiet von Aley, wo die heftigsten Kämpfe stattfanden. Der Krieg begleitete ihn mit Panzern auf den Straßen und dem Donnern von Geschützen in der Nacht. „Für mich war es Normalität“, sagt Ghanem mit seinem typischen Grinsen im Gesicht. „Ich bin im Krieg geboren und kannte es nicht anders. Ich erinnere mich an den Tag, ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, an dem ein syrischer Soldat mich im Panzer mitfahren ließ. Ich hatte keine Angst, im Gegenteil, einer meiner größten Träume war wahr geworden.“
Das alles habe auch etwas Gutes gehabt, scherzt der heute 35-Jährige. Da sein Vater nach seiner Geburt, aufgrund der andauernden Kämpfe, nicht zum Amt gehen konnte, ist er jetzt offiziell, laut Pass, zwei Monate jünger, als er tatsächlich ist. Das ist das Erstaunlichste an Ghanem: Es scheint, als fände er an wirklich allem etwas Positives.
Erzogen zum Hass
Kurz nach seiner Geburt jedoch, er war etwa sechs Monate alt, wurde sein älterer Bruder während der Kämpfe getötet. Ghanem kennt seinen Bruder, der so jäh aus dem Leben gerissen wurde, nur aus Erzählungen. Jahre später, während der Zeit der israelischen Besatzung, wird auch sein anderer großer Bruder getötet. Die Züge des groß gewachsenen, sonst so fröhlichen Mannes verdunkeln sich spürbar, als er über den Tod seines Bruders spricht. Dieser hatte sich der Miliz der Sozialistischen Fortschrittspartei angeschlossen, eine der schlagkräftigsten Gruppen im libanesischen Bürgerkrieg. Auch Ghanem war lange Mitglied der Jugendorganisation der Sozialistischen Fortschrittspartei.
„Das ist Vergangenheit“, sagt er leise. Denn Ghanem begann irgendwann, Fragen nach den Gründen für den Krieg zu stellen. Er wollte wissen, wofür seine Brüder gestorben waren. Doch niemand konnte ihm Antworten geben. „Ich realisierte, dass auch die Sozialistische Fortschrittspartei längst keine Vertreterin von progressiven, sozialistischen Ideen mehr war, sondern einzig und allein an der verhärteten Front für die Interessen der Drusen kämpfte. Die bittere Wahrheit ist: Dieser Krieg war sinnlos und hat uns nichts als Elend gebracht“, erinnert sich Ghanem. Der Krieg kann ihm dennoch keine Angst mehr machen. In seinem jetzigen Job als Rettungshelfer für das libanesische Rote Kreuz versorgt er Verletzte und half zuletzt, einen verwundeten Kämpfer aus dem an den Libanon angrenzenden Syrien zu bergen.
Jugendbegegnung ohne Vorurteile
Als der Krieg plötzlich zu Ende war, waren Ghanem und seine gleichaltrigen Freunde zunächst einmal orientierungslos. Bisher hatte sich ihr ganzes Leben um den Hass gedreht, sie waren in den Jugendorganisationen der drusischen sozialistischen Partei, der schiitischen Hisbollah und anderen sozialisiert worden und kannten diesen „Frieden“ nur aus Erzählungen. „Lange wollten wir weiterkämpfen. Krieg war in gewisser Weise unser natürlicher Lebensraum. Es war ein harter Weg, uns von dieser Welt zu lösen.“
Mit 27 hängte Ghanem all sein politisches Engagement an den Nagel. Er gründete einen Verein, der Jugendlichen zeigt, wie der Libanon vor dem Krieg war. Er möchte Jugendliche zusammenbringen, und zwar unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Konfession oder politischen Partei, wie er betont. Die Motivation für sein Engagement für den Frieden zieht Ghanem aus seiner eigenen Geschichte, die „vom Konflikt geprägt war.“ Jetzt hilft er Jugendlichen, sich in der Konfliktsituation zurechtzufinden, die noch immer von konfessionellen Spannungen geprägt ist.
Frieden als Schlüssel
Frieden ist die Basis für alles, findet Ghanem und erklärt es an einem einfachen Beispiel: Ein Großteil des libanesischen Bruttoinlandsprodukts wird über den Tourismus generiert. Ohne Frieden kein Tourismus, ohne Tourismus keine Existenzgrundlage für viele Libanesinnen und Libanesen.
Perspektivlosigkeit scheint die libanesische Jugend zu bedrohen. Ghanem unterstützt die Jugendlichen in dieser Situation, baut Brücken zwischen den verschiedenen Konfessionen und bietet ihnen eine Perspektive: die Perspektive eines friedlichen und
gerechten Libanon.