In Berichten über Kriege stehen oft die Orte der Kampfhandlungen oder die Opferzahlen im Vordergrund. Die persönlichen Geschichten der Menschen, die mitten im Krieg leben, bleiben hierbei häufig im Hintergrund. Dabei sind es gerade diese Geschichten – von Liebe und gegenseitiger Unterstützung, von der Angst während Luftangriffen oder Geburtstagen, die von Granaten unterbrochen werden – die einen tiefen Einblick in die menschliche Seite des Krieges bieten.
Solche Geschichten erzählt das Buch „The Moment I Knew War Started“, ein Projekt des serbischen Büros des forumZFD aus dem Jahr 2022. In 27 Geschichten schildern Autorinnen und Autoren aus dem postjugoslawischen Raum ihre Erfahrungen aus dieser Zeit und die Momente, in denen ihnen das Ausmaß des Konflikts bewusst wurde. Später wurde das Buch ins Albanische übersetzt und durch drei weitere Beiträge kosovo-albanischer Autor*innen ergänzt.
Im Jahr 2023 startete schließlich das Übersetzungs- und Begegnungsprojekt „Im Osten viel Neues“, das von den Universitäten Halle, Nikšić und Novi Sad ins Leben gerufen wurde. Über ein Jahr lang arbeiteten Studierende aus Deutschland, Montenegro und Serbien daran, ausgewählte Texte aus dem Buch ins Deutsche und Englische zu übersetzen. Nach einer ersten Übersetzungsrunde trafen sich die Teilnehmenden für eine Woche, um sich über kulturelle Besonderheiten auszutauschen und die Texte gemeinsam zu überarbeiten. Zusätzlich wurden die Geschichten im Audioformat aufgenommen, um sie nicht nur lesbar, sondern auch hörbar zu machen.
Das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie Literatur dazu beitragen kann, neue Perspektiven auf Themen wie Krieg und Frieden zu eröffnen und das Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen zu fördern. Die Geschichten zeigen den Krieg aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen: Sie sind ungefiltert, springen zwischen den Zeiten und hinterlassen ein diffuses Gefühl von Furcht und Unsicherheit.
Ein Beispiel dafür ist die Erzählung von Boris Mandić: „Ja volim sve“ aus dem Jahr 2022, übersetzt von Julian Wörfel:
in unserem dorf waren viele leute in irgendwelchen uniformen und mit gewehren auch mein papa hatte ein gewehr und ich hab es mir gerne angeguckt aber papa wollte es mir nicht in die hände geben damit ich krieg spielen kann mit den anderen kindern ich bin auf die straße gegangen zum spielplatz und es fing an dass bomben überall gefallen sind und alle sind weggerannt und ich bin alleine dageblieben und ich hatte angst und ich wollte zu meiner mama und eine frau hat mich in den bunker gezogen und dort hab ich meine oma gesehen und sie hat mich umarmt und ganz dolle festgehalten
Texte wie diese lenken den Fokus weg vom politischen Geschehen und hin zu dem, was alle Menschen verbindet, wie eine der Teilnehmerinnen des Projekts zusammenfasst: „Wenn wir alle ideologischen Unterschiede und politischen Anliegen beiseitelassen, dreht sich unser Leben um die gleichen menschlichen Dinge: gutes Essen und Trinken, Spaß und Spiel mit denen, die wir mögen, der Stress in der Schule oder bei der Arbeit und das Zeigen von Bildern unserer geliebten Haustiere.“ In einer Zeit, in der nationalistische Strömungen im westlichen Balkan wieder zunehmen, setzen die Jugendlichen damit ein wichtiges Zeichen für Verständigung und Menschlichkeit.
Die Geschichten zum Nachlesen & Hören
Auf der Website des Projekts finden Sie die übersetzten Geschichten in Textform und als Audiodatei: