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So wird Nachbarschaft nachhaltig

Diskussionsabend mit dem Kölner Soziologen und Buchautor Davide Brocchi.

Stadtviertel und Nachbarschaftsinitiativen können die entscheidenden Triebfedern für gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit sein: So lautet eine zentrale These des neuen Buches von Davide Brocchi. Auf Einladung des forumZFD und des Allerweltshaus stellte der Kölner Soziologe seine Forschungsergebnisse vor und diskutierte diese mit Bart Denys, Programmleiter der Kommunalen Konfliktberatung beim forumZFD.
Nachhaltigkeitstalk 27.11.19
© forumZFD

„Unsere Gesellschaft steht zweifellos vor großen Veränderungen“, so Davide Brocchi zu Beginn des Diskussionsabends, zu dem das forumZFD und das Allerweltshaus nach Köln-Ehrenfeld eingeladen hatten. „Wir stehen nun vor der Frage, ob diese Veränderungen ‚by design‘ oder ‚by desaster‘ stattfinden werden.“ Eine Antwort auf seine Frage hatte der Kölner Soziologe bereits im Gepäck: Der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit solle auf lokaler Ebene initiiert und aktiv gestaltet werden, argumentierte Brocchi, denn nationale und internationale Steuerungsbemühungen hätten sich bislang als wenig effektiv erwiesen. Im eigenen Stadtviertel oder Quartier könnten die Menschen dagegen Veränderungen selbst in die Hand nehmen und direkt umsetzen.

Für sein neues Buch „Große Transformation im Quartier – Wie aus gelebter Demokratie Nachhaltigkeit wird“ (erschienen 2019 im oekom-Verlag) hat Brocchi sechs lokale Bürgerinitiativen in Köln, Bonn und Wuppertal untersucht, die zum Beispiel den Bau von Einkaufszentren durch Großinvestoren verhindern oder Impulse für mehr Nachhaltigkeit setzen wollen. Er erläutert die Arbeitsweise und die Entstehung von lokalen Initiativen und zeigt auf, wie sie als urbane Reallabore Transformationsprozesse ermöglichen, die auf die ganze Stadt übertragen werden können.

Nachhaltigkeit muss keine Zukunftsvision sein

Den rund 30 Gästen im Allerweltshaus Köln berichtete Brocchi, der in Italien aufgewachsen ist, wie er in seiner Kindheit die Bedeutung von Nachhaltigkeit erlebt hat: „Meine Großeltern haben den Großteil ihres Bedarf noch durch Eigenproduktion gedeckt. Notwendige Alltagsgegenstände wurden in der Familie geteilt. So habe ich Nachhaltigkeit als Normalität erlebt, nicht als Zukunftsvision.“ In der modernen Konsumgesellschaft fehle es jedoch oftmals an wichtigen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Lebensstil.

Brocchi zufolge beginnt Nachhaltigkeit mit dem Aufbau von Vertrauen und belastbaren sozialen Beziehungen in der Nachbarschaft. Denn Nachbarinnen und Nachbarn, die miteinander bekannt und vertraut sind, seien viel eher bereit, Alltagsgegenstände wie etwa die Bohrmaschine miteinander zu teilen. „Wenn wir Vertrauen fördern, ergeben sich viele positive Effekte im Sinne der Nachhaltigkeit“, so Brocchi. Der ‚Tag des guten Lebens‘, ein nichtkommerzielles Straßenfest, das der Soziologe 2013 mit ins Leben gerufen hat, ziele genau darauf ab, die Straße zu einem öffentlichen Wohnzimmer zu machen. So werde das Vertrauen einer familiären Umgebung auf die Nachbarschaft übertragen.

© forumZFD

Perspektivwechsel können Vertrauen schaffen“

Vertrauensaufbau ist auch ein zentraler Aspekt der Kommunalen Konfliktbearbeitung des forumZFD. Hierbei werden Kommunen, in denen spannungsgeladene Situationen vorliegen, bei der Bewältigung dieser Konflikte beraten und unterstützt. Programmleiter Bart Denys erläuterte das Konzept: „Die Kommunale Konfliktberatung hilft, Konflikte in einer Kommune systematisch zu erfassen und die Komplexität zu entschlüsseln. Wir schlagen keine Lösungen vor, aber wir zeigen den beteiligten Akteurinnen und Akteuren die jeweils anderen Perspektiven auf. Solche Perspektivwechsel können helfen, die Basis für vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen oder wieder neu herzustellen.“

Der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit in Quartieren ist durchaus von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten begleitet, da in den Stadtvierteln viele Menschen mit unterschiedlichen Wünschen und Interessen aufeinandertreffen. Konflikte seien aber nicht zwangsläufig negativ, unterstreicht Bart Denys vom forumZFD. Sie seien vielmehr ganz normal überall dort, wo viele Menschen zusammenleben: „In der Kommunalen Konfliktberatung betrachten wir Konflikte als etwas ganz alltägliches. Sie bieten eine Chance, das Zusammenleben zu überdenken und neu zu gestalten“, erklärt Denys.

Die große Transformation beginnt im Kleinen

Wie umfassend das Thema Nachhaltigkeit ist, zeigt das dazugehörige Aktionsprogramm, welches die Vereinten Nationen 2015 verabschiedet haben. Die 17 „Globalen Nachhaltigkeitsziele“ („Sustainable Development Goals“), die die Weltgemeinschaft bis 2030 umsetzen will, reichen von Armutsbekämpfung über Bildung und Geschlechtergerechtigkeit bis hin zu Klimaschutz und Friedensförderung. Trotzdem solle man vor der Größe der Herausforderung nicht zurückschrecken, unterstrich Brocchi in seinem Vortrag: „Gerade dadurch, dass wir globale Probleme auf unsere lokale Umgebung runterbrechen und in den Quartieren anpacken, bleibt unsere Handlungsfähigkeit erhalten.“

Zum Abschluss der Veranstaltung ermunterte der Autor die Gäste dazu, selbst aktiv zu werden und in ihrer Nachbarschaft Veränderungen anzustoßen: „Es genügt, wenn sich drei oder vier motivierte Menschen zusammentun und gemeinsam etwas Gutes bewirken wollen – es sind solche Anfänge im Kleinen, die letztlich zur großen Transformation führen.“

Die Veranstaltung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von Engagement Global, der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen sowie Brot für die Welt:

© Engagement Global / Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW / Brot für die Welt
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