20 Jahre später ist unübersehbar: Der internationale, militärische wie zivile Afghanistaneinsatz hat seine wesentlichen strategischen Ziele verfehlt. Ein Abrutschen in einen entfesselten Bürgerkrieg, der auch wichtige Teilfortschritte zunichtemachen würde, ist möglich.
Über die Jahre habe ich vor allem auf der politisch-strategischen Ebene erschreckend viel Lernverweigerung, Wunschdenken und Schönrednerei erlebt – auch wenn sich vor allem vor Ort einzelne Akteure bemüht haben, aus Erfahrungen zu lernen. Aus meiner Sicht sollten wir drei Lehren aus dem Einsatz ziehen.
Erstens: Von Anfang an müssen bei Kriseneinsätzen fundiertes Konfliktverständnis, politische Konfliktlösung und die Beteiligung der Akteure und Bevölkerung vor Ort im Sinne der ‚local ownership‘ höchste Priorität haben. Daran mangelte es beim internationalen Afghanistaneinsatz. Vor allem die USA blockierten lange Verhandlungen mit den Taliban.
Zweitens: Solche Krisenengagements im Auftrag der Vereinten Nationen brauchen eine kohärente Strategie mit realistischen, überprüfbaren Zielen und ausgewogenen Fähigkeiten, also viel mehr zivilen Kräften. Wirkungsorientierung muss an die Stelle von Symbolpolitik treten und darf nicht immer wieder innenpolitischem Opportunitätsdenken zum Opfer fallen.
Drittens: Eine Politik, die für gemeinsame und menschliche Sicherheit wirken will, muss als erstes dem üblichen Trend widerstehen, dass mit einem Truppenabzug erst die mediale Aufmerksamkeit, dann auch jede internationale Unterstützung schwindet. Politisch dranbleiben ist die dritte Lehre. Das gilt gerade jetzt!
Deutsche Mediationsexperten der Berghof-Foundation spielen seit längerem eine konstruktive Rolle. Zugleich sind alle Zipfel an Friedenschancen zu stärken. Hoffnungsinseln zivilgesellschaftlicher Projekte müssen nach Kräften am Leben gehalten werden, wo möglich auch durch Arrangements mit pragmatischeren Taliban.
Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen deutsch-afghanischen Freundschaft sollte Deutschland seine besonderen Wirkungschancen viel besser nutzen. Die Aufgaben und Bedeutung der politische UN-Mission in Afghanistan nehmen voraussichtlich erheblich zu. Hier ist eine stärkere personelle Unterstützung aus Deutschland angesagt.
Afghanische Ortskräfte, die für deutsche Ministerien gearbeitet haben, dürfen nicht im Stich gelassen und ihren Verfolgern ausgeliefert werden. Sie sollten in Deutschland Aufenthalt erhalten.
Ratlos bin ich zu der Schlüsselfrage, was Deutschland und die Europäische Union zur akuten Bürgerkriegsprävention beitragen können, nachdem der faktische Einsatzabbruch die Rutschbahn Richtung Bürgerkrieg geschmiert hat. Dieses Dilemma ist in der aktuellen Diskussion um den Vollabzug null Thema. Der zentrale friedenspolitische Ansatz der Gewaltprävention interessiert zurzeit offenbar nicht.