„Unsere Ältesten sagen, es sei unser Todesurteil, wenn man uns unser angestammtes Land wegnimmt“, sagt Rico Pareja. Das Leben der 33-Jährigen ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die jedes Fernsehdrama in den Schatten stellt. Sie ist Lehrerin, transgender und Aktivistin für Gerechtigkeit und Frieden. Sie ist eine Vertriebene, ein Opfer von Gewalt. Aber sie ist auch eine Überlebende. Und nicht zuletzt gehört sie zum Stamm der Manobo in Surigao del Sur, einer der größten und vielfältigsten indigenen Gruppen in Mindanao.
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Surigao del Sur liegt im östlichen Teil von Mindanao in den Philippinen. Die Provinz ist bekannt für ihr indigenes Erbe und den Reichtum ihrer Natur. Direkt am Pazifik gelegen finden sich hier wunderschöne Strände und ergiebige Fischgründe. Auch an Land sprüht die Flora und Fauna förmlich vor Artenreichtum, wenngleich die Rohstoffindustrie mit ihrem Bergbau und Holzeinschlag tiefe Spuren hinterlassen haben.
Ein Leben im Einklang mit der Natur
Wir treffen Rico Pareja in Surigao City, etwa fünf Stunden von dem Dorf entfernt, in dem sie aufgewachsen ist. Sie ist hierhergekommen, um an einem vom forumZFD organisierten Treffen mit Friedensaktivist*innen und Vertreter*innen indigener Gemeinden teilzunehmen. Die kleine Gruppe trifft sich regelmäßig, um über das Konfliktgeschehen in der Region zu beraten und im Austausch zu bleiben. Pareja folgt aufmerksam dem Gespräch. Sie ist eine eher stille Zuhörerin. Aber wenn sie das Wort ergreift, hat sie die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe sicher. Ab und zu wirft sie auch eine launige Bemerkung ein und bringt damit die Anwesenden zum Lachen.
Es ist Abend geworden. Die Sonne geht gerade unter und wirft ein goldenes Licht über die Silhouette der Stadt. Pareja holt tief Luft und beginnt, eine Geschichte zu erzählen – die Geschichte ihres Lebens. „Ich beginne bei meiner Kindheit.“ Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie in ihrer Familie und ihrer Gemeinde aufgewachsen ist. Es war ein traditionelles Umfeld, in dem sich alles um die Kultur und das Land drehte.
Als Indigene bin ich dafür verantwortlich, unsere Menschenrechte zu verteidigen.
„Unsere Eltern haben uns beigebracht, gute und verantwortungsbewusste Mitglieder unserer Gemeinschaft zu sein. Sie lehrten uns, unser Land zu lieben und zu bestellen. Wir haben sie oft bei der Arbeit begleitet.“ Ein Leben eng verflochten mit der Natur. Es sei diese Arbeit auf den Feldern und im Wald, so Pareja, die es der Gemeinschaft ermögliche, ihre Kultur zu bewahren.
Bildung bringt Hoffnung
Die indigenen Gemeinden in Surigao del Sur verbinden ihre Traditionen mit modernen Ansätzen. Eltern und Stammesälteste legen großen Wert auf eine gute Bildung ihrer Kinder. Kein leichtes Unterfangen, schließlich sind Schulen in vielen ländlichen Regionen schwer erreichbar. Es braucht buchstäblich die Unterstützung der ganzen Gemeinde, um den Traum von Bildung für indigene Kinder Wirklichkeit werden zu lassen. In Parejas Dorf legten sich die Gemeindevorsteher*innen zusammen mit privaten Einrichtungen mächtig ins Zeug. Mithilfe von Spenden konnten sie Klassenräume und Schlafsäle bauen, Lehrkräfte einstellen, Bücher und Schulmaterial kaufen. Für die Gemeinde, die von der Regierung kaum erreicht wird, war das neu errichtete Internat ein Hoffnungsschimmer.
Schon in der Grundschule, erzählt Pareja, habe sie den Wert von Bildung schätzen gelernt. „Das war so wichtig für mich, weil ich die direkte Verbindung der Natur zu unserem täglichen Leben verstanden habe.“ Das Land sorge für die Bedürfnisse der Menschen, die sich im Gegenzug um die Umwelt kümmern sollten, davon ist sie überzeugt. Dieses Verständnis habe ihr Leben geprägt.
Indigene unter Druck
Und noch etwas ist ihr in der Schule erst richtig bewusst geworden: die Marginalisierung, der Indigene bis heute ausgesetzt sind. Denn in der philippinischen Gesellschaft begegnen ihnen viele Vorurteile. Sie werden oft als ungebildet und leichtgläubig dargestellt. Auf politischer Ebene sind ihre Interessen kaum vertreten. Unterdessen fällt ihr angestammtes Land industriellen Interessen zum Opfer, Bergbau, Holzeinschlag und Bananenplantagen breiten sich aus. Wer sich wehrt, dem drohen fingierte Anklagen oder sogar Mord. „Ich habe verstanden, dass es hier um Menschenrechte geht“, betont Pareja. „Als Indigene bin ich dafür verantwortlich, unsere Menschenrechte zu verteidigen.“
Mit starkem Rückhalt aus ihrem sozialen Umfeld gelang es ihr zu studieren. Während ihres gesamten Studiums galt ihre ganze Energie einem einzigen Ziel: dem Schutz des Landes ihrer Vorfahren und der Natur. Nach ihrem Abschluss kehrte sie als Lehrerin in ihre Gemeinde zurück. Damit ging für sie ein Traum in Erfüllung: in ihrer Gemeinde zu leben und einen Beitrag für die Bildung der nächsten Generation zu leisten.
Ein Traum wird zum Albtraum
Doch das Glück währte nicht lange. Im Morgengrauen des 1. September 2015 wurden Pareja und die anderen Lehrkräfte von lauten Geräuschen geweckt. Es war der Beginn des schlimmsten Albtraums ihres Lebens. Bewaffnete Männer, angeführt von einer antikommunistischen paramilitärischen Gruppe, trieben das gesamte Dorf zusammen und setzten zu einer langen Ansprache an. Sie beschuldigten die Dorfbewohner*innen und die Schule, kommunistische Aufständische in der Gegend zu unterstützen.
Ein schwerwiegender Vorwurf. Denn seit Langem sind die Provinz Surigao und andere Gebiete in Mindanao Schauplatz bewaffneter Kämpfe zwischen der philippinischen Regierung und der kommunistischen „Neuen Volksarmee“. Bereits über fünf Jahrzehnte dauert der Konflikt an und immer wieder geraten Indigene dabei zwischen die Fronten. Ganze Gemeinden werden vertrieben und die Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Neue Volksarmee haben dazu geführt, dass ganze Gebiete unter Generalverdacht gestellt werden. Oft kommt es zu Einschüchterungen und Menschenrechtsverletzungen unter dem Vorwand, den Aufstand niederzuschlagen.
Indigene sind von der Gewalt besonders betroffen, da die bewaffneten Zusammenstöße oftmals auf ihrem Land stattfinden und sie als Unterstützer*innen der Aufständischen gebrandmarkt werden. In der Folge werden Menschenrechtsaktivist*innen und Vertreter*innen indigener Gemeinden ermordet, ohne Haftbefehl eingesperrt oder sie sehen sich erfundenen Anklagen ausgesetzt.
An diesem albtraumhaften Septembermorgen in Parejas Dorf wurde der Direktor der Schule, Emerito „Emok“ Samarca, gefesselt und mit aufgeschlitzter Kehle in dem Gebäude gefunden. Zwei der Gemeindevorsteher, Dionel Campos und sein Cousin Aurelio Sinzo, wurden vor den Augen des gesamten Dorfes erschossen. Campos war Vorsitzender einer indigenen Gruppe, die sich entschieden für den Schutz indigenen Landes und gegen Menschenrechtsverletzungen einsetzt.
Schlagzeilen aber kein Schutz
Der Vorfall sorgte für Schlagzeilen im ganzen Land und erregte auch international Aufsehen. Das Rampenlicht reichte jedoch nicht aus, um die Zivilbevölkerung vor weiteren Angriffen zu schützen. Es war erst der Anfang einer Reihe von Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen in Parejas Gemeinde und den umliegenden Orten. In der gesamten Region kam es zu Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Lebensmittellieferungen wurden blockiert, Eigentum zerstört. Etliche Gemeindevorsteher*innen wurden getötet oder inhaftiert. Einige tauchten ab, um Anklagen zu entgehen. Andere wurden gezwungen sich solchen Anklagen zu stellen und dann zu behaupten, sie würden den kommunistischen Aufstand unterstützen. Für die brutalen Angriffe wurde bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen.
Frieden spenden
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In Parejas Gemeinde ist das Leben seither nicht mehr dasselbe. Die Schule wurde für mehrere Jahre von der Regierung geschlossen. Die offizielle Erklärung lautete, es fehlten die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen. Erst seit 2022 ist sie wieder in Betrieb, allerdings nicht mehr unter der Eigenverwaltung der indigenen Gemeinde. Sie vermisse ihre alte Schule sehr, sagt Pareja, die aus Sicherheitsgründen heute nicht mehr in ihrem Dorf lebt. „Es ist extrem schwierig für unsere Gemeinde, sich von den Geschehnissen zu erholen“, berichtet sie. So fehle es bis heute an Grundversorgung zum Beispiel im Bereich Gesundheit.
Auch sie persönlich hatte Mühe, das Erlebte zu verarbeiten, erzählt Pareja. „Es war sehr traumatisch. Ich hatte Angst, andere Menschen zu sehen. Vor allem hatte ich Angst, Männer in Uniform zu sehen.“ Sie hat aufgehört zu zählen, wie oft sie geweint hat.
Was ihr jedoch half, war, sich zu öffnen und mit Menschen, denen sie vertraut, über ihre Gefühle zu sprechen. Und aktiv zu werden: Mithilfe der katholischen Kirche begann sie, Kampagnen für die örtliche Diözese umzusetzen. Sie unterstützt indigene Jugendliche dabei, sich für eine bessere Repräsentation ihrer Interessen einzusetzen. Auch Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte der LGBT-Community sind für Pareja ein Herzensanliegen.
Räume für Austausch schaffen
Durch diese Arbeit lernte sie eine Gruppe lokaler Friedensaktivist*innen kennen, die sich für Konflikttransformation in Mindanao einsetzen. Das forumZFD hat diese Gruppe ins Leben gerufen, um in dem von Polarisierung, Angst und Selbstzensur geprägten Umfeld einen Raum für Dialog und Austausch zu schaffen. Im Laufe der letzten fünf Jahre hat sich die Gruppe gefestigt und trifft sich regelmäßig. Sie reflektieren die Konflikte, denen ihre Gemeinden ausgesetzt sind, und suchen gemeinsam Wege, um damit umzugehen und Veränderungen zu bewirken.
„Ich schätze diese Räume für Dialog sehr. Meine Angst hat sich etwas gelegt, weil ich spüre, dass es hier eine Gemeinschaft von Menschen mit den gleichen Erfahrungen gibt“, sagt Pareja. Ihr größter Traum sei es, dass ihre Schule wieder den Betrieb aufnehmen könne, frei und ohne Angst.
Eine Chance auf Frieden?
Auf nationaler Ebene führen derzeit die Regierung und die kommunistische Bewegung inoffizielle Gespräche darüber, die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen. Solche Verhandlungen sind eine zentrale Plattform, um gewaltfreie Lösungen für den fünf Jahrzehnte währenden Konflikt zu finden, der Tausende Menschenleben gefordert hat. In der Öffentlichkeit gehen die Meinungen allerdings auseinander, da der bisherige Friedensprozess immer wieder unterbrochen war.
Rico Pareja ist jedoch optimistisch und hofft darauf, dass die Verhandlungen Erfolg haben und die strukturellen, politischen und kulturellen Ursachen des Konflikts angegangen werden. „Ich war begeistert, als ich davon gehört habe“, sagt sie. „Ich träume davon, dass der Konflikt friedlich gelöst wird.“
„Ich träume davon, dass der Konflikt friedlich gelöst wird“
Der Konflikt hat ihr und ihrer Gemeinschaft so viel genommen. Worte können ihren Schmerz und ihre Angst nur unzureichend beschreiben. Aber trotz allem, sagt sie, werde sie ihr Bestes tun, um Räume für Dialog zu schaffen und zum Erfolg des Friedensprozesses beizutragen. Für alle, die an den Verhandlungen beteiligt sind, hat sie eine klare Botschaft: Ein echter Frieden könne nicht erreicht werden, wenn die Träume der Indigenen, insbesondere der Schutz ihres angestammten Landes und ihrer Kultur, nicht verwirklicht werden.