„Auch wenn der Krieg in Gaza stattfindet, befinden wir uns im Westjordanland in einem großen Gefängnis“, sagt Amal Hadweh, die mit der forumZFD-Partnerorganisation Taghyeer in Bethlehem psychosoziale Unterstützung anbietet. „Die Menschen haben Angst und sind sehr verunsichert. Für Frauen ist die Situation noch komplizierter, weil sie die Familien zusammenhalten. Die Kinder sind zu Hause und nehmen am Online-Unterricht teil und die Armut nimmt zu, weil die Männer nicht arbeiten gehen können. All das müssen die Frauen auffangen.“
Die Spannungen im Westjordanland haben in den letzten Monaten zugenommen. So führt die israelische Armee zum Beispiel häufiger Razzien durch. Darüber hinaus hat Israel nach den schrecklichen Anschlägen vom 7. Oktober den Zugang palästinensischer Arbeitnehmender zu seinem Staatsgebiet stark eingeschränkt, sodass nach Angaben der International Labour Organization schätzungsweise 276.000 Menschen aus dem Westjordanland ihre Arbeit verloren haben. Israel blockiert auch die Gelder für die Palästinensische Autonomiebehörde, die ihrerseits die Zahlungen an den öffentlichen Sektor gekürzt hat. Das hat zur Folge, dass die Gehälter verbeamteter Personen um 60 Prozent gekürzt wurden.
Wenn Gewalt zum Alltag wird
Diese katastrophale wirtschaftliche Lage wirkt sich auf die psychische Gesundheit der Menschen im Westjordanland aus, ebenso wie die anhaltende militärische Besatzung. Bereits im Jahr 2022 veröffentlichten Médecins du Monde und die Association of International Development Agencies dazu einen Bericht. Unter dem Titel „No Peace of Mind“ erläutern die Autor*innen, wie sich diese äußeren Lebensumstände auf das psychosoziale Wohlbefinden der Palästinenser*innen auswirkt: Was manchmal mit Resilienz verwechselt werde, sei die notwendige Anpassung an ein belastendes Umfeld, in dem die Begegnung mit Gewalt zur „täglichen Routine“ gehöre und akuter Stress die Norm sei.
Krieg in Nahost
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Vor diesem Hintergrund haben das forumZFD und seine Partnerorganisationen in den Städten Qalqilya, Nablus, Bethlehem und Hebron im besetzten Westjordanland Aktivitäten zur psychosozialen Unterstützung entwickelt. Die Angebote reichen von Gruppengesprächen bis hin zu spielerischen Methoden, bei denen die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse und Gefühle zum Ausdruck bringen können.
Eine der Teilnehmerinnen berichtet: „Die Workshops boten in dieser Situation einen sicheren Raum, in dem wir unsere unbegreiflichen Gefühle ausdrücken konnten. Wir haben dadurch die Gelegenheit bekommen, diese Emotionen mitzuteilen und uns gegenseitig zu ermutigen, das alles nicht in uns zu vergraben.“
Die Workshops zeigen Wirkung
Aufgrund der Sicherheitslage im Norden des Westjordanlandes konnten die Frauen sich nicht persönlich treffen. Stattdessen fanden die Sitzungen online statt. Moderiert wurden sie von Aroub Jumleh, die bereits seit über 20 Jahren mit Frauengruppen arbeitet. Sie erzählt: „Ich muss schon sagen, dass die Arbeit ein wenig überwältigend war. Aber die Teilnehmenden haben sehr gut mitgemacht und das hat mir positive Energie gegeben, um weiterzumachen“, sagt sie.
Sie habe positive Veränderungen bei den Teilnehmenden beobachtet, so die erfahrene Moderatorin weiter: „Eine Frau, die ihr Haus gar nicht mehr verlassen konnte, ging nun wieder raus.“. Eine andere Teilnehmerin habe zunächst erzählt, dass sich ihr Leben wie ein riesiges Chaos anfühlte. Die Sitzungen hätten ihr geholfen, ihren Alltag neu zu strukturieren. Insgesamt hätten die Treffen den Frauen in dieser emotional schwierigen Zeit ein Gefühl der Ruhe vermitteln können, resümiert Jumleh. Auch für sie selbst sei diese Arbeit wichtig, betont sie: „Sie können sich nicht vorstellen, wie viel es mir bedeutet, dass ich solche Treffen leite.“
Es gibt noch viel zu tun
Auch wenn sich die Weltgesundheitsorganisation bemüht hat, die psychosozialen Dienste in Palästina auszubauen, ist das Angebot immer noch dürftig. Außerdem sei das Thema verpönt, erläutert Amal Hadweh, die ebenfalls Sitzungen moderiert hat: „Wenn die Leute erfahren, dass man um diese Dienste bittet, fragen sie ‚Bist du majnoon‘ [arabisches Wort für verrückt]?‘ Die Kultur ist in dieser Hinsicht sehr hart und die Leute betrachten die Teilnehmenden durch eine Brille der Scham.“
Hadweh sieht aber auch eine positive Auswirkung ihrer Arbeit auf die Frauen. „Als sie gingen, konnte ich sie lachen hören. Eine von ihnen sagte: ‚Das ist das erste Mal, dass wir an so einem Training teilgenommen haben. Noch nie haben wir über diese Gefühle gesprochen. Tragen wir all das wirklich in uns?“
Die Wirkung solcher Projekte mag klein erscheinen und es ist sehr individuell, was jede der Frauen aus den Treffen mitnimmt. Aber der Kontext, in dem sie stattfinden, zeigt deutlich auf, warum Angebote der psychosozialen Unterstützung dringend benötigt werden: Die Menschen in den palästinensischen Gebieten sind die Leidtragenden einer jahrzehntelangen militärischen Besatzung – und aktuell ist ihre Zukunft ungewisser denn je.