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Frauen geben Frieden ein Gesicht

Eine Ausstellung zeigt Aktivistinnen aus Bosnien und Herzegowina

Wie erleben Frauen Krieg, Frieden und Wiederaufbau? Diese Frage steht im Zentrum der Ausstellung „Frauen geben Frieden ein Gesicht“. Darin werden 20 Frauen aus allen Teilen Bosnien und Herzegowinas porträtiert, die ihre persönlichen Geschichten aus dem Krieg und der Nachkriegszeit erzählen. Im Herbst wurde die Ausstellung erstmals in Deutschland gezeigt.
Ausstellungseröffnung
© pax christi Aachen

Ein Löffel. Viel mehr ist nicht geblieben von ihrem Haus, erzählt Bojana Jovanović. Im Oktober 1992, wenige Monate nach Ausbruch des Krieges, warfen Unbekannte einen Sprengsatz in das Haus. Es brannte vollständig nieder. Menschen aus der Nachbarschaft liefen herbei, um zu helfen. Die Großmutter schaffte es, Jovanovićs kleine Schwester unter den Trümmern hervorzuziehen. Die 11-Jährige wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Nach dem Angriff entschied sich die Familie, ihren Heimatort Zenica in Bosnien und Herzegowina zu verlassen und in einen anderen Landesteil umzusiedeln. Der Vater kehrte noch einmal zum Haus zurück und rettete, was zu retten war. Viel war nicht geblieben, nur ein paar wenige Gegenstände fand er in den Trümmern. Darunter der Löffel, den Bojana Jovanović seitdem hütet wie einen Schatz.

Jovanović ist eine der Frauen, die in der Ausstellung „Frauen geben Frieden ein Gesicht“ porträtiert werden. Das Projekt entstand 2018 in Zusammenarbeit zwischen der Frauenfriedensbewegung „Mir sa ženskim licem“, dem Historischen Museum von Bosnien und Herzegowina sowie dem forumZFD in Bosnien und Herzegowina.  Auf großen Stellwänden sind Fotos der Frauen abgebildet. Darunter ist ihre Biografie zu lesen und es wird ein Gegenstand gezeigt, der für die Frauen eine besondere Bedeutung hat, in Jovanovićs Fall ein Löffel. Andere Frauen zeigen beispielsweise einen Fotoapparat, einen  Schlüsselbund oder ein Ausweisdokument des Sohns,  der aus dem Krieg nicht zurückkam. Eine Frau zeigt ein vergilbtes Papier mit dem Urteilsspruch gegen einen der Männer, die ihr Gewalt angetan haben: „Das Urteil ist ein kleines Zeichen der Gerechtigkeit und der Wahrheit“, schreibt sie dazu.

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Im Herbst dieses Jahres war die Ausstellung erstmals in Deutschland zu sehen: pax christi und das forumZFD holten die Porträts nach Aachen. Zur feierlichen Eröffnung waren mehrere Friedensaktivistinnen und die Ausstellungsmacherinnen extra aus Bosnien angereist.  Die bosnisch-herzegowinische Botschafterin in Deutschland,  Jadranka Winbow, die NRW-Gleichstellungsministerin  Josefine Paul und Hilde Scheidt, Bürgermeisterin  der Stadt Aachen, würdigten die Frauen und ihre Arbeit  in ihren Grußworten. Botschafterin Winbow betonte: Die  Frauen seien eine Inspiration für kommende Generationen.  Die Ausstellung zeige deutlich, dass jede und jeder Einzelne Verantwortung trage für den Aufbau friedlicher und gerechter Gesellschaften.

Geschichten vom Überleben

Insgesamt 20 Frauen werden in der Ausstellung porträtiert. Als der Krieg 1992 begann, standen die meisten von ihnen mitten im Leben. Doch der Krieg veränderte alles. Viele verloren Angehörige, mussten fliehen, wurden Opfer sexueller Gewalt oder in Lagern interniert. „Die Geschichten der Frauen sind typische Schicksale aus dem Krieg und der Nachkriegszeit. Sie alle mussten auf unterschiedliche Weise ums Überleben kämpfen“, sagt Radmila Žigić, eine der Ausstellungsmacherinnen.

 

V. l. n. r.: Ausstellungsmacherin Merima Skokić, Botschafterin Jadranka Winbow, Ausstellungsmacherin Radmila Žigić sowie Sunita Dautbegović Bošnjaković vom forumZFD.

Aber es sind nicht nur Geschichten vom Grauen des Krieges. Es sind auch Geschichten, die Hoffnung machen: Denn die Frauen sind nicht passiv geblieben. Sie haben das Erlebte überwunden und beim Wiederaufbau mitgewirkt. Viele haben anderen Menschen geholfen und engagieren sich in der Zivilgesellschaft. Radmila Žigić erklärt: „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, zivilgesellschaftliche Aktivistinnen zu porträtieren. Damit wollen wir dem weit verbreiteten Bild von Frauen als Opfern etwas entgegensetzen.“ Bojana Jovanović zum Beispiel, die Frau mit dem Löffel, ist Anwältin und Menschenrechtsaktivistin. Nach dem Krieg studierte sie Jura. Heute setzt sie sich für die Rechte von Roma ein.

Das Besondere an der Ausstellung ist, dass darin Frauen aus allen Teilen des Landes zu Wort kommen, über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Viele erzählen Geschichten von gegenseitiger Hilfe zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem es bis heute kaum eine gemeinsame Erinnerungskultur gibt. Das Gedenken an den Krieg findet entlang ethnischer Trennlinien statt. Angehörige der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen erzählen ihre eigenen Versionen davon, was während des Krieges passiert ist. Die öffentliche Leugnung von Kriegsverbrechen ist weit verbreitet. „In der öffentlichen Debatte erinnern die serbischen, kroatischen und bosniakischen Führungspersönlichkeiten nur an ihre eigenen Helden und an die Verbrechen, die an ihrem eigenen Volk verübt wurden. So verhindern sie eine konsequente und systematische Aufarbeitung der Vergangenheit“, kritisiert Radmila Žigić. Umso wichtiger seien zivilgesellschaftliche Projekte wie die Ausstellung, die ein gemeinsames Gedenken ermöglichten.

„Klare Friedensbotschaft“

In Aachen fand die Ausstellung viel Beachtung. Allein zur Eröffnungsveranstaltung kamen rund 100 Besuchende. Stefan Voges vom Vorstand pax christi Aachen hob in seiner Begrüßung hervor, die Botschaft der Ausstellung reiche weit über Bosnien und Herzegowina hinaus. Die Lebensgeschichten der Frauen seien ein Geschenk an alle Menschen, die die Ausstellung besuchten. Die Geschichten machten betroffen, aber sie machten auch Mut, bereits im Krieg den Frieden vorzubereiten.

Die Eröffnungsveranstaltung in Aachen war gut besucht.

Ausstellungsmacherin Radmila Žigić hofft, dass die Porträts der Frauen dem Publikum einen neuen Blick auf die Geschichte ihres Landes eröffnen. Historische Ereignisse würden meist aus der Sicht von Männern erzählt, insbesondere aus der Sicht von Politikern und Soldaten, so Žigić. Die Ausstellung trage dazu bei, das Bild zu vervollständigen. „Wenn wir über die Schicksale von Frauen im Krieg sprechen, dann dekonstruieren wir letztendlich den Mythos, Krieg sei etwas Heroisches oder Normales. In Wahrheit bedeutet Krieg Zerstörung, Brutalität, Verbrechen und Mord. Die Ausstellung sendet eine klare Friedensbotschaft: Politische Konflikte können und dürfen nicht durch Krieg gelöst werden.“

Ein Interview mit der Ausstellungsmacherin Radmila Žigić finden Sie unter:www.forumZFD.de/interview-zigic

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