Bar Elias ist eine kleine Stadt in der Bekaa-Ebene, im Osten vom Libanon. Sie grenzt an die Straße nach Syrien. Es sind 12 Kilometer zur Grenze. Am Horizont kann man die schneebedeckten Spitzen des Anti-Libanon-Gebirges sehen. Am Ortseingang informiert ein blaues Schild die Besucher: Gesamtbevölkerung: 50.000. Dies umfasst nur die Libanesischen Bewohner. Seit 2011 wohnt mindestens die gleiche Anzahl von Syrern in der Stadt. Durch die Nähe zu Syrien, ist die Bekaa-Ebene die Hauptsiedlungszone für Geflüchtete aus dem Nachbarland geworden. Laut des UNHCR leben fast 35% der über eine Million geflüchteten Syrer im Libanon in dieser Region.
Alaa Alzaibak lebt schon seit drei Jahren in Bar Elias. Der 29-Jährige ist eigentlich IT-Spezialist. Vor seiner Flucht aus Syrien arbeitete er bei Banken und verschiedenen Unternehmen. Jetzt ist er in der Organisation Basmeh and Zeitooneh aktiv: „Die Arbeit in einer NGO ist neu für mich. Ich arbeite erst seit einem Jahr hier, aber ich bin sehr begeistert. Ich habe in der kurzen Zeit so viel gelernt.“ Die Nichtregierungsorganisation wurde hauptsächlich von Syrern gegründet. Sie ist in der humanitären Hilfe aktiv, unterstützt aber auch Geflüchtete und Aufnahmegemeinschaften in den Bereichen Bildung, soziale Angelegenheiten und Kultur.
Zusammen mit ihrem Partner forumZFD haben sie das Projekt Future Together Now gestartet und gemeinsam mit der libanesischen Organisation LOST (Lebanese Organization for Studies and Training) im Bekaa-Tal umgesetzt. Alaa steht im Büro von Basmeh und Zeitooneh und zeigt auf verschiedene Flipchart-Papiere. Farbige Karten mit Stichwörtern auf Englisch und Arabisch kleben darauf, verbunden durch Pfeile und Nummern. Man kann daran erkennen, wie das Projekt der Mülltonnen entstanden ist, wie viele Schritte es durchlaufen hat – von der Idee, über die Vorbereitung, bis zur Umsetzung: „Unser Ziel ist es, Spannungen zwischen Syrern und Libanesen abzubauen und die zwei Gruppen zusammenzubringen.“ Er fügt hinzu, dass dies durch ein Projekt geschehen soll, das für die Bedürfnisse der Syrer und Libanesen vor Ort entwickelt wurde, und an dem beide Gruppen teilnehmen und profitieren sollen.
Ein Projekt zu Recycling
Das Projekt, das gerade angefangen hat, behandelt die Frage des Plastik- und Metallrecycling im Viertel Jazeera. Syrer und Libanesen trennen ihren Müll. Vom Gewinn des recycelten Plastiks und Metalls soll ein Projekt finanziert werden, das von den Bewohnern des Viertels geplant wird. Wafa Haddad (Name geändert) und Medyen Al-Ahmad – beide aus Syrien – sind auch an dem Projekt beteiligt. Wafa lebt seit dreieinhalb Jahren in Bar Elias. Die fröhliche und lebhafte Mittezwanzigerin hatte gerade ihr Jurastudium abgeschlossen, als sie ihr Zuhause verlassen musste. „Für mich ist es wichtig, gegenseitige Vorurteile zu überwinden. Viele Menschen hier denken, Syrer wären arm und unfähig. Zwar leben viele Geflüchtete in schwierigen Situationen, aber die meisten sind gut gebildet, bereit zu arbeiten und etwas zu geben.“ Auf der anderen Seite, sagt sie, „denken Syrer oft, dass Libanesen arrogant sind und keinen Kontakt zu Geflüchteten wollen.“
Medyen ist Ende 30. Er lebt seit vier Jahren in einem Flüchtlings-Camp in der Nähe von Bar Elias. Er weiß, wie die Probleme zwischen Einheimischen und Geflüchteten entstehen: „Müll aus dem Camp landet auf den benachbarten Grundstücken der Libanesen. Einheimische beschweren sich über den Geruch von Abwasser in den Camps in ihrer Nähe. Oder syrische Kinder spielen auf den Feldern der libanesischen Bauern. Und da fängt der Ärger an.“ Die Spannungen, die im täglichen Leben entstehen, haben einen tieferen Grund. Schon vor 2011, vor der Ankunft der Geflüchteten aus Nachbarländern, war das Bekaa-Tal arm und unterentwickelt. Die Menschen lebten von Landwirtschaft und dem Handel mit Syrien. Das schnelle Wachstum der Bevölkerung in den letzten Jahren hat den Wettbewerb um die Ressourcen noch verschlimmert.
Fayez Okasha kommt aus Bar Elias. Der Libanese, der bei dem Recycling Projekt mitmacht, sagt, dass sich weder die Berufschancen, die eh begrenzt waren, noch die verwahrloste Infrastruktur dem Wachstum angepasst haben. „Diese Situation führt dazu, dass viele Libanesen die Syrer als eine Last sehen. Und sie merken, dass die Aufmerksamkeit von internationalen Organisationen vor allem den Neuankömmlingen gilt. Das führt zu Unzufriedenheit.“
Nach ungefähr zwei Kilometern erreichen der Lastwagen und die Autos ihr Ziel. An der Straße reihen sich braune und ockerfarbene Gebäude aneinander. Frauen sitzen in Vorgärten und unterhalten sich. Kinder spielen. Obstbäume blühen in Gärten. In diesem Teil von Jazeera leben hauptsächlich Libanesen. Die Mülltonnen werden entladen und auf dem Parkplatz vor den Häusern gesammelt. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter von Basmeh und Zeitooneh kleben Aufkleber mit dem Wort Plastik auf die blauen Tonnen, andere mit dem Wort Metall auf die grünen. Dann teilen sie sich in zwei Gruppen. Wafa kümmert sich um die linke Seite der Straße, Alaa um die rechte. Mit einer Liste der Familien in der Hand, klopfen sie an Türen und verteilen je eine grüne und eine blaue Tonne. Medyen erklärt: „Pepsi Dosen gehören in die grüne Tonne. Leere Shampoo- oder Geschirrspülflaschen in die andere. Der Rest gehört in den normalen Abfall.“ Dann geht er zur nächsten Familie. Die Nachricht, dass die Mitglieder von Basmeh und Zeitooneh da sind, verbreitet sich schnell. Die Bewohner schauen neugierig aus ihren Wohnungen. Eine Gruppe von älteren Männern stellt Stühle auf dem Parkplatz auf. Ein Bewohner bringt eine Kanne mit türkischen Kaffee. Medyen verteilt die schwarze Flüssigkeit in kleine weiße Becher.
Community Activists
Alaa, Wafa und Medyen wurden von forumZFD als Community Activists ausgebildet. Sie lernen, wie man Konflikte analysiert, Projekte plant und Bedarfsanalysen erstellt. In jeder Phase suchen sie den Kontakt zu den Entscheidungsträgern in Bar Elias, um Vertrauen aufzubauen. Sie treffen religiöse Würdenträger, Kommunalpolitiker und einflussreiche Personen der Stadt. Die Community Activists haben Fragebögen entwickelt, mit denen sie die Bedürfnisse der Libanesen und Syrer ermitteln.
Die Befragung zeigte, dass die Bedürfnisse beider Gruppen in Bar Elias ähnlich sind, sagt Wafa. Der Wunsch nach Arbeitsmöglichkeiten und die Verbesserung der Infrastruktur stehen an erster Stelle: „Natürlich können wir keine Jobs schaffen. Wir haben ein kleines Projekt geplant, das im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt.“ Ihnen stehen 6.000 US-Dollar für die Umsetzung des Projekts zur Verfügung. Sie haben mehrere Ideen diskutiert, wie Bürgersteige reparieren, Bäume pflanzen, einen Garten anlegen und das Recycling-Projekt, für das sie sich entschieden haben. Geflüchtete haben eine Arbeitsgruppe gegründet und die Einheimischen gaben dem Recycling-Projekt den syrisch-libanesischen Namen „Zeder und Jasmin“: Während die Zeder für den Libanon steht ist Jasmin das Symbol der syrischen Hauptstadt Damaskus.
Die Community Activists geben das Wissen aus ihrer forumZFD-Ausbildung an ihre Mitaktivisten in der Arbeitsgruppe weiter. Alaa betont: „Der wichtigste Punkt unseres Projekts ist, dass es ohne uns weiter funktioniert, dass die Menschen vor Ort sich dafür verantwortlich fühlen. Ich werde nicht für immer hier sein. Vielleicht gehe ich eines Tages zurück nach Syrien. Dann werde ich dort etwas mit dem Wissen, dass ich hier erworben habe, tun können.“
Nach einer kurzen Kaffeepause tragen die Aktivisten die übrigen Mülltonnen zur anderen Seite der Straße von Jazeera. Hier sind Hütten auf das Brachland gebaut – Holzgerüste, mit Kunststoffplanen abgedeckt. 15 syrische Familien, die aus Dörfern in der Nähe von Aleppo geflohen sind, leben hier. Der Leiter des Camps, Mahmoud Junaid begrüßt die Aktivisten, Frauen und Kinder kommen angerannt. Junaid denkt positiv über das Projekt: „Dass unsere Nachbarschaft mit dem Recycling-Projekt ein wenig Geld verdienen kann, ist ein Anreiz. Es animiert uns, mitzumachen.“
Noch in den letzten Wochen hatten die Freiwilligen von Basmeh und Zeitooneh Zweifel an dem Projekt. Syrer und Libanesen zusammen zu bringen, schien illusorisch. „Am Anfang zeigten die Entscheider aus Bar Elias kein Interesse an dem Projekt. Es dauerte eine Weile, bis ihnen klar wurde, dass wir es ernst meinten“, sagt Alaa. Wafa fügt hinzu: „Am Anfang war es nicht einfach, die Libanesen dazu zu bringen, unsere Fragen nach ihren Bedürfnissen zu beantworten.“ Erst als ein Libanese dem Team beitrat, wurde es einfacher. Medyan erklärt, dass viele Einheimische und Geflüchtete ihnen misstraut haben, weil sie schlechte Erfahrungen mit anderen Organisationen gemacht haben: „Manchmal kommen Mitarbeiter von irgendwelchen Organisationen, führen Befragungen durch, notieren die Ergebnisse und sagen, sie würden in der nächsten Woche wiederkommen. Aber sie kehren nie zurück. Kein Wunder, dass die Menschen argwöhnisch waren.“
Es sind zwei Wochen seit der Verteilung der Mülltonen vergangen. Alaa, Wafa und Medyen besuchen Jazeera regelmäßig, zusammen mit anderen Freiwilligen von „Zedar und Jasmin“, reden mit den Bewohnern und gucken, ob das Recycling richtig funktioniert. Gerade richten sie ein Komitee von Libanesen und Syrern in der Nachbarschaft ein, um darüber zu diskutieren, was mit den Einnahmen des gesammelten Plastiks und Metalls geschehen soll. Sie haben schon einige Ideen: die Schule streichen oder die öffentliche Wasserstelle reparieren.