Wir leben in unruhigen Zeiten – eine Tatsache, die nicht nur viele Menschen spüren, sondern die auch statistisch belegt ist, wie die Zahlen des Uppsala Conflict Data Program zeigen: In den letzten beiden Jahren gab es mehr als 200.000 Kriegstote, der höchste Stand seit 1994. Im medialen Fokus stehen derzeit vor allem die Konflikte in der Ukraine und in Israel und Palästina. Gleichzeitig beobachten wir in Deutschland und Europa einen Aufstieg der politischen Rechten und eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit, wie eine Reihe an Studien belegt. Angesichts dessen stellen sich viele die Frage: Ist der Glaube an und die Arbeit für eine friedlichere Welt nicht naiv?
Dem widerspricht die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung entschieden. In einer Kolumne des Tagesspiegels hält sie fest: „Naiv ist nicht der Wunsch nach Frieden, sondern danach, Konflikte abzuschaffen. Die eigentliche Aufgabe ist, sie gewaltfrei zu lösen.“ Diesem Ansatz folgt die Akademie für Konflikttransformation des forumZFD bereits seit 1997, als der erste Ausbildungskurs für Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst ins Leben gerufen wurde. Seitdem haben bereits über 1700 Menschen an den Weiterbildungen und Fachseminaren teilgenommen und arbeiten heute in verschiedenen Regionen weltweit.
Ein praxisnaher Ansatz, der Wirkung zeigt
Der Schulungsraum in Königswinter füllt sich langsam. An den Wänden hängen Plakate mit den Zielen des aktuellen Kurses und den Lerntandems der 14 Teilnehmenden. Wie vielfältig die Gruppe ist, wird spätestens deutlich, als einige Teilnehmende von ihren beruflichen Hintergründen berichten: Eine Journalistin ist dabei, eine Pfarrerin, ein Referent für Entwicklungspolitik, eine Krankenschwester, zwei Mediatorinnen. Egal, ob sie bereits in der Friedensarbeit tätig sind oder das noch vorhaben – sie alle haben sich für den zehnmonatigen berufsbegleitenden Kurs entschieden, um sich neben ihrer eigentlichen Tätigkeit im Bereich Friedens- und Konfliktarbeit weiterzubilden. Heute präsentieren die Teilnehmenden ihre Konfliktanalysen zu realen Fällen, mit denen sie sich in den letzten Wochen auseinandergesetzt haben.
Wie wichtig es ist, anhand praxisnaher Beispiele zu lernen, weiß auch Carlos Juárez (im Bild oben), der bereits letztes Jahr die Weiterbildung „Friedens- und Konfliktarbeit“ besucht hat. Der Menschenrechtsanwalt aus Guatemala arbeitet seit 14 Jahren daran, die Geschichte seines Landes aufzuarbeiten und den Opfern des Bürgerkriegs von 1960 bis 1996 eine Stimme zu geben. Regelmäßig trifft der 36-Jährige sich mit Vertreter*innen des Staates und Opfern, um Wiedergutmachungen für Menschenrechtsverletzungen zu fordern. Darüber hinaus arbeitet er in einem Projekt des Zivilen Friedensdienstes in Guatemala: Über soziale Medien klärt er junge Menschen über die Geschichte ihres Landes auf und erinnert an die Opfer des Konflikts.
Durch diese Arbeit wurde Juárez schließlich auf die Angebote der Akademie für Konflikttransformation aufmerksam – eine Kollegin hatte ihm den Tipp gegeben, woraufhin er sich entschied, an einer zehnwöchigen Weiterbildung teilzunehmen. Bis heute profitiere er von dem Gelernten, erzählt er: „Durch das Training anhand von realen Konflikten habe ich gelernt, wie wichtig es ist, in meinem Arbeitsbereich eine sensible Sprache zu verwenden. Ein einziges Wort kann einen Konflikt eskalieren lassen. Jetzt weiß ich, wie ich Gespräche zwischen Vertreter*innen des Staates und Opfern besser moderieren kann und auch die Geschichten auf Social Media schreibe ich mit mehr Bedacht.“
Von der Vollstreckung zur Friedensarbeit
Auch Barbara Todl, die derzeit in Königswinter ihre Weiterbildung absolviert, kann bestätigen, dass der praxisnahe Ansatz der Akademie sehr hilfreich ist. Die 46-Jährige hat einen ungewöhnlichen beruflichen Hintergrund: Sie ist Vollstreckerin, Yogalehrerin und Mediatorin – eine Kombination, die sie selbst oft schmunzeln lässt. Als Vollstreckerin bei der Stadt Frankfurt stellt sie seit vielen Jahren sicher, dass Eltern die Kosten für die Betreuung ihrer Kinder bezahlen. Dabei begann sie, sich zunehmend für die Dynamiken hinter Konflikten in ihrem Arbeitsumfeld zu interessieren und machte eine Ausbildung zur Mediatorin. Doch das war ihr nicht genug: „Es fühlte sich alles so begrenzt an. Ich wollte mehr Input in diesem Bereich und Menschen treffen, die sich ebenfalls für Verständigung einsetzen.“ Nach einiger Suche stieß die Frankfurterin auf die Akademie für Konflikttransformation.
Künftig möchte Todl im Bereich der kommunalen Konfliktberatung arbeiten und Städte und Gemeinden dabei unterstützen, gesellschaftlichen Herausforderungen konstruktiv zu begegnen. Hierfür nehme sie viel aus dem Kurs mit, berichtet sie. Insbesondere der Austausch mit den anderen Teilnehmenden habe ihr aufgezeigt, wie viel Sensibilität in diesem Berufsfeld erfordert werde. Zum Beispiel sei sie erst durch ein Gespräch mit einer Mitschülerin darauf aufmerksam geworden, dass sie in einer Übung unbewusst eine Formulierung der AfD übernommen hatte.
„Entscheidend ist, eine innere Haltung zu entwickeln“
Diesen Raum für Austausch und gemeinsames Lernen zu schaffen, ist ein zentrales Anliegen der Weiterbildungsangebote, erläutert Julia Burmann, die die Akademie seit 2021 leitet. Schon während des ersten Kurses 1997 lernten und lebten die zwölf Teilnehmenden aus diesem Grund unter einem Dach. Neben der Theorie und Methodik beschäftigen sich die Teilnehmenden in Königswinter aber auch mit grundlegenden Fragen zu ihrer Rolle als Friedensfachkraft: Spreche ich mit allen Konfliktparteien gleich? Wie gehe ich mit Rassismus um? Darf ich mich selbst zu einem Konflikt positionieren? Für Burmann sind diese Fragen von zentraler Bedeutung: „Die Arbeit als Friedensfachkraft kann man nicht einfach als Methode erlernen. Bei der ganzheitlichen Bearbeitung eines Konfliktes nimmt die Friedensfachkraft selbst eine Rolle ein. Daher ist es entscheidend, die eigenen Werte, aber auch Privilegien und Machtdynamiken zu reflektieren und eine innere Haltung zu entwickeln, um in unterschiedlichen Situationen handlungsfähig zu sein.“
Deshalb lege die Akademie ein besonderes Augenmerk auf kritische Selbstreflexion – insbesondere mit Blick auf persönliche Prägungen und Privilegien. In den vergangenen Jahren hat das Team der Akademie diesen Ansatz stetig vertieft und die Methoden weiterentwickelt. Ein bewährtes Instrument ist beispielsweise die ‚Flower-Power‘-Übung. Dabei symbolisieren die inneren Blütenblätter der Blume strukturell privilegierte Gruppen in Deutschland, wie zum Beispiel männlich, weiß und christlich, während die äußeren Blätter weniger privilegierte Gruppen darstellen. Die Kursteilnehmenden markieren bei jeder Kategorie entweder das innere oder das äußere Blütenblatt – je nachdem, wo sie sich zugehörig fühlen. Für Barbara Todl war diese Übung augenöffnend: „Ich habe erkannt, was es bedeutet, so privilegiert zu sein, dass ich um nichts kämpfen muss. Dadurch kann ich Diskriminierung und Rassismus bei anderen Menschen besser nachempfinden. Gleichzeitig hat mir die Blume gezeigt, dass auch ich als Frau potenziell geschlechtsspezifischer Diskriminierung ausgesetzt bin. Ich habe diese Übung sofort einer Kollegin vorgestellt.“
Die Akademie im Wandel der Zeit
Doch nicht nur für die Teilnehmenden ist Selbstreflexion ein zentraler Bestandteil der Ausbildung, sondern auch für die Akademie selbst. Seit vielen Jahren setzt sie sich zum Beispiel intensiv mit den Themen Postkolonialismus und Rassismus auseinander. Im Laufe der Jahre hat sie es bereits geschafft, immer mehr internationale Friedensfachkräfte für ihre Kurse zu gewinnen und den Kreis an Trainer*innen diverser zu gestalten.
Und auch das Kursportfolio wurde in den letzten Jahren ständig angepasst. Vor jedem neuen Weiterbildungsangebot stellt sich das Team die Frage: Welche Kompetenzen benötigen Friedensfachkräfte gerade am dringendsten? Dabei reagiert die Akademie auch auf das aktuelle Weltgeschehen wie etwa die Konflikte in der Ukraine und in Israel und Palästina. Wenn Friedensfachkräfte in solchen akuten Konflikten arbeiten, haben sie häufig mit individuellen und kollektiven Traumata zu tun. Um darauf eingehen zu können, bietet die Akademie beispielsweise einen Kurs zu Trauma-Sensibilität an. Ziel ist es, Teilnehmende darin zu schulen, Traumata zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
Insgesamt deckt die Akademie ein breites Themenspektrum ab, von Vergangenheitsbewältigung über Selbstfürsorge bis hin zum Zusammenwirken von Umweltschutz und Friedensförderung. Ein besonderes Anliegen ist es dem Team derzeit, die Wirkung der Kurse besser messbar zu machen, erläutert Julia Burmann: „Aktuell erheben wir schon einige Daten zur Herkunft und zum Verbleib der Teilnehmenden. Außerdem werden die einzelnen Kurse am Ende gemeinsam mit den Teilnehmenden evaluiert. Viel schwieriger ist es, erfassen zu können, welche realen Veränderungen durch die Teilnahme an einem Kurs erzielt wurden. Deshalb haben wir begonnen, mit der qualitativen und partizipativen Methode ‚Most significant change‘ die Wirkungen unseres Weiterbildungsprogramms zu dokumentieren.“
Frieden lernen am Lagerfeuer
Dass nicht nur das vermittelte Wissen, sondern auch das persönliche Miteinander in der Akademie eine große Rolle spielt, zeigt ein Blick auf den aktuellen Kurs in Königswinter. Die Teilnehmenden haben gerade ihre Präsentationen abgeschlossen und überlegen, ob sie nach dem gemeinsamen Abendessen lieber Yoga machen oder den Tag am Lagerfeuer ausklingen lassen wollen.
Diese informellen Aktivitäten sind für viele von großer Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür ist Menschenrechtsanwalt Carlos Juárez aus Guatemala. Noch heute stehe er fast täglich mit anderen ehemaligen Kursteilnehmenden in Kontakt, erzählt er. „Es war großartig, Menschen kennenzulernen, die ganz andere Erfahrungen und Lebensrealitäten haben als ich. Alle möchten so viel bewegen. Das hat mich motiviert, weiter in diesem Bereich zu arbeiten. Noch immer tausche ich mich regelmäßig mit Friedensfachkräften aus Afrika, Asien und Europa aus. Denn eines ist mir während des Kurses bewusst geworden: Friedensarbeit ist in jedem Land eine große Herausforderung und wir können viel voneinander lernen.“
Die nachhaltigen Beziehungen und Kontakte, die aus den Kursen entstehen, zeigen, dass die Akademie viel mehr ist als ein Ort der Wissensvermittlung. Sie schafft ein Netzwerk des professionellen Austausches, aber auch der Verständigung, Offenheit und des Respekts – etwas, das angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen Konflikte im In- und Ausland heute vielleicht wichtiger ist denn je. Barbara Todl bringt es auf den Punkt: „Es ist so wichtig, sich wieder als Mensch zu begegnen und das Gegenüber nicht nur als 'den Anderen' zu sehen. Deshalb brauchen wir Leute, die sich für Frieden und Verständigung einsetzen.“ Bereits seit 27 Jahren bildet die Akademie genau solche Menschen weiter.
Die Akademie für Konflikttransformation bietet jedes Jahr einen berufsbegleitenden Kurs von zehn Monaten und einen Vollzeitkurs von zehn Wochen sowie eine mehrwöchige grundlegende Online-Weiterbildung an. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von kürzeren Fachseminaren, die sich auf einzelne Themenbereiche konzentrieren. Weitere Informationen zum Kursangebot finden Sie hier: www.forumzfd-akademie.de