Über hundert Zuschauer*innen schalteten bei der Online-Diskussion ein, die knapp eine Woche nach dem Amtsantritt der neuen rot-grün-gelben Bundesregierung im Dezember stattfand. Zu Beginn benannten die Podiumsgäste, welche Punkte im Koalitionsvertrag sie positiv überrascht hatten. Simon Bödecker von Ohne Rüstung Leben hob hierbei das Rüstungsexportkontrollgesetz hervor. Dass sich die Ampelregierung zu diesem Vorhaben bekannt habe, sei „ein ganz großer Erfolg für die Zivilgesellschaft in Deutschland.“ Initiativen wie die „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel“ hatten sich über viele Jahre für ein Gesetz eingesetzt, welches verbindliche und strenge Kriterien für den Export von Waffen und Rüstungsgüter festlegen soll. Auch die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor, die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, und die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung hatten sich dafür ausgesprochen.
Simon Bödecker betonte allerdings, dass es nun auf die genaue Ausgestaltung des Gesetzes ankomme. Mindeststandards wie Exportstopps an kriegsführende Länder und Länder, die Menschenrechte verletzen, müssten erfüllt werden, damit keine deutschen Waffen mehr in Krisengebiete gelangten. Ein weiterer wichtiger Punkt sei ein Verbandsklagerecht, das es zivilgesellschaftlichen Organisationen ermögliche, Entscheidungen der Bundesregierung über Waffenlieferungen gerichtlich prüfen zu lassen.
Widersprüchliche Signale bei atomarer Abrüstung
Darüber hinaus lobte Simon Bödecker das Versprechen der neuen Bundesregierung, sich auf internationaler Ebene für atomare Abrüstung einzusetzen und einen Beobachterstatus beim Atomwaffenverbotsvertrag einzunehmen. 122 UN-Mitgliedstaaten haben den Vertrag bislang unterzeichnet, der die Entwicklung ebenso wie die Stationierung und den Einsatz von Atomwaffen untersagt.
Bödecker betonte: „Der Atomwaffenverbotsvertrag hebt die Perspektive der Länder des globalen Südens hervor und thematisiert unter anderem Opferhilfen und Umweltsanierung in Gebieten, die besonders von Atomwaffentests betroffen sind. Das sind Aspekte, die bislang in der atomaren Rüstungskontrolle überhaupt nicht aufgetaucht sind.“ Allerdings merkte Bödecker kritisch an, dass die neue Bundesregierung gleichzeitig an der nuklearen Teilhabe festhalte und somit widersprüchliche Signale sende.
Keine klare Ausrichtung auf nachhaltige Entwicklung
Mit Blick auf das Thema nachhaltige Entwicklung verwies Dr. Martina Fischer auf die Zusage der Koalitionspartner, künftig mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. „Wenn das eingelöst würde, wäre das auf jeden Fall eine Stärkung für dieses Politikfeld“, so die Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Länder des globalen Südens bräuchten unter anderem Unterstützung beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme und beim Kampf gegen Armut. Allerdings fehlt laut Fischer eine konsequente Orientierung der gesamten Regierungspolitik an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen: „Im Koalitionsvertrag liest man da nichts dazu. Es ist vereinzelt die Rede davon, dass die Politik auf die SDGs ausgerichtet werden soll, aber immer nur mit Blick auf einzelne Ressorts wie Umwelt oder Entwicklung. Das finde ich das gravierendste Versäumnis in der Behandlung dieses Themas im Koalitionsvertrag.“
Die Ampelkoalition hat außerdem angekündigt, einen Untersuchungsausschuss sowie eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung des Afghanistaneinsatzes einzusetzen. Hierzu äußerte Martina Fischer den Wunsch, dass ganz grundsätzliche Fragen politisch diskutiert werden sollten, insbesondere mit Blick auf Alternativen zur militärischen Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Denn: „Mit einem militärischen Tunnelblick ist auf Dauer nichts gewonnen.“
„Fünf magere Zeilen“ für zivile Konfliktbearbeitung
Auch Christoph Bongard vom forumZFD forderte, die neue Bundesregierung solle stärker auf zivile Ansätze der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung setzen. Positiv sei, dass die Ausgaben für staatliche Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahren stetig gestiegen seien. Von einem ‚Vorrang für zivil‘, also einer echten Priorisierung nicht-militärischer Maßnahmen der Krisenprävention, könne aber noch keine Rede sei, so Bongard: „Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Denn das Versprechen, Entwicklungs- und Verteidigungsmaßnahmen im gleichen Verhältnis zu steigern, hätten die vorangegangenen Bundesregierungen nicht eingehalten: Die Verteidigungsausgaben verzeichneten in der Vergangenheit stets einen deutlich größeren Zuwachs.
Der Leiter des Teams Kommunikation und Politik beim forumZFD kritisierte außerdem, dass die zivile Krisenprävention und Friedensförderung im Koalitionsvertrag mit „fünf mageren Zeilen“ abgespeist worden sei. Die zentralen Instrumente wie etwa der Zivile Friedensdienst, das Förderprogramm Zivik oder auch das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze würden gar nicht erst benannt. Außerdem fehlten konkrete Ziele für den Ausbau der zivilen Krisenprävention – im Koalitionsvertrag sei lediglich vage von „Planzielen“ die Rede, die es beim Ausbau von finanziellen und personellen Ressourcen zu definieren gelte.
Christoph Bongard sagte dazu: „Zivile Konfliktbearbeitung braucht Planbarkeit und einen langen Atem. Wenn wir die Partner in den betroffenen Länder ernst nehmen und zivile Krisenprävention im Sinne einer wertegeleiteten Außenpolitik betreiben, dann müssen wir nicht nur die Kapazitäten wie den Zivilen Friedensdienst und andere Programme ausbauen, sondern wir müssen auch langfristig ein verlässlicher Partner sein. Das heißt zum Beispiel auch, dass wir unseren Partnerorganisationen sagen, wie wir in den nächsten vier Jahren zusammenarbeiten wollen.“
Den Blogbeitrag von Dr. Martina Fischer zu der Online-Veranstaltung finden Sie auf www.brot-fuer-die-welt.de.
Das Video der Veranstaltung können Sie hier anschauen:
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