Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Europäische Union zivile Friedensförderung und Menschenrechte stärkt?
Beide Themen sind für uns absolute Prioritäten. Mitte der 90er Jahre waren Grüne die ersten, die ein Konzept für eine EU-Politik der zivilen Konfliktprävention vorgelegt haben und eine Machbarkeitsstudie anforderten. Dies führte unter anderem dazu, dass die EU ab 2007 zum ersten Mal einen Fonds hierfür bekam. Unsere Abgeordneten haben in der Folge die Ausgestaltung dieser Politik als Verhandlungsführer des Parlaments über Jahre hinweg angeführt. Leider steht diese Politik nun vor neuen Herausforderungen durch den Entwurf zur siebenjährigen EU-Finanzplanung, wo Mittel zur zivilen Konfliktprävention drastisch gekürzt werden sollen. Auch ein eigenständiges Finanzinstrument soll verschwinden. Gegen diesen Trend kämpfen wir aktuell. Unser Ziel ist eine Verdoppelung der Ausgaben, denn Europas Nachbarschaft ist in der Zwischenzeit unruhiger geworden.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Europäische Union Staaten, die Krieg führen oder Menschenrechte verletzen, nicht militärisch unterstützt? Werden Sie sich für die strikte Einhaltung der europäischen Kriterien für Rüstungsexporte einsetzen?
Wir halten die Politik der Ertüchtigung im Rahmen des EU-Instruments für Stabilität und Frieden (IcSP) schlichtweg für illegal. Zudem stellt sich heraus, dass die EU eine Armee in Mali gefördert hat, die laut UN für viele Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Kurz: Wir werden uns auch in Zukunft vehement dafür einsetzen, dass an problematische Drittstaaten keine militärische Unterstützung geht. Die acht EU-Kriterien zu Waffen- ausfuhren verbieten einen solchen Transfer. Je mehr die EU in Zukunft in die Rüstungsindustrie investiert, desto stärker muss Exportkontrolle auch auf europäischer Ebene wachsen und greifen. Wir brauchen in dieser Frage mehr Europa.
Wie ist Ihre Position zum Aufbau einer Verteidigungsunion und der Finanzierung von Rüstungsforschung und -entwicklung aus dem Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union?
Die EU braucht eine echte Sicherheitsunion. Sie muss jedoch dem erweiterten Sicherheitsbegriff folgen und menschliche Sicherheit ins Zentrum stellen. Die militärische Zusammenarbeit kann hierin nur ein Instrument sein. Damit die militärischen Aufgaben des Vertrages jedoch wahrgenommen werden können, müsste dringend eine Strategie entwickelt werden, die bestimmt, wo und wie die EU im Ernstfall interveniert. Das wäre dann die Voraussetzung für das Entwerfen von konkreten Einsatzszenarien. An diesen wiederum sollten sich Funktion und Struktur einer engen Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften ausrichten, die aus unserer Sicht permanent werden sollte. Zuletzt würde eine solche Abfolge auch zu sehr konkreten (und eingrenzbaren) Anforderungen an die Industrie führen. Dies führt schließlich zu Vorgaben an die Industrie. Jetzt läuft jedoch alles falsch herum: Die Verteidigungsunion wird mit direkten Subventionen in Höhe von 13 Mrd. € an die Industrie gestartet. Das lehnen wir ab. Vielmehr sollte die neue Fazilität dafür genutzt werden, dass Teile nationaler Wehretats für Forschung, Entwicklung, Beschaffung, Instandhaltung und Training zusammengelegt werden. Dann wäre alles aus einer Hand, ohne Fragmentierung und an geplanten Einsätzen orientiert. Das wäre gut für den Steuerzahler, denn laut Kommission könnten 25–100 Mrd. € an nationalen Ausgaben jährlich eingespart werden.
Wie werden Sie sich für Europa als Friedensprojekt der Zukunft einsetzen?
Die EU bekam den Friedensnobelpreis zu Recht für ihre Erweiterungspolitik. Als überzeugter Pro-Europäer bin ich sehr stark dafür, dass wir
gerade nach einem möglichen Brexit die Erweiterungspolitik fortsetzen. Während der letzten Europawahl hatte die EVP damit geworben, diese Legislatur keine Erweiterungen zuzulassen. Das hatte dramatische Folgen im Westbalkan; es führte zu Spannungen, Autokratie usw. Nach den Kriegen der 90er Jahre bleibt die EU als Friedensprojekt ohne den Westbalkan unvollendet. Darüber hinaus gilt es, das Primat des Zivilen sowie genügend Mittel für die zivile Friedensförderung zu verteidigen.
Sven Giegold ist seit dem Jahr 2009 Mitglied im Europäischen Parlament und Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen.