Im vergangenen Jahr haben wir als forumZFD die Entwicklungen im Westjordanland mit Pessimismus beobachtet. Jede kurze Fahrt in die besetzten palästinensischen Gebiete ist von Siedlungen umgeben, in denen Israelis leben. Einsätze der israelischen Armee in Städten der Zone A (die von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert wird) sind zur Routine geworden. Die Gewalt der Siedler*innen gegen palästinensische Gemeinden ist alltäglich geworden, und oft beobachtet die israelische Armee diese Angriffe ohne einzugreifen. Die Gewalt der Siedler*innen wird von seriösen Organisationen wie der Menschenrechtsorganisation B'Tselem dokumentiert. Auch Anschläge von Palästinenser*innen auf israelische Ziele haben zugenommen.
Seit einer Woche erleben Israel und Palästina eine noch nie dagewesene Krise. Seit Samstag, dem 7. Oktober, hat die Hamas israelisches Gebiet angegriffen, Zivilist*innen in Dörfern angegriffen, über 1.200 Menschen getötet und 168 Zivilist*innen und Soldat*innen in den Gazastreifen entführt. Als Reaktion darauf hat Israel umfangreiche Luftangriffe auf den Gazastreifen gestartet, bei denen bislang über 1.600 Menschen getötet und rund 340.000 Zivilist*innen vertrieben wurden. Die israelischen Streitkräfte erklärten zudem, dass entlang der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen die Leichen von 1.500 palästinensischen Kämpfer*innen gefunden worden seien, die bei Gefechten mit der Armee getötet wurden. Aktuell bereitet sich die israelische Armee auf eine Bodenoffensive in Gaza vor.
Angriffe auf Zivilist*innen - egal von welcher Seite - sind niemals zu rechtfertigen, und das forumZFD verurteilt solche Taten.
Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Bewohner*innen können ihn nur mit vorheriger Genehmigung über die Grenzübergänge nach Israel und Ägypten verlassen. Seit dem Jahr 2006 steht der Gazastreifen auf dem See-, Luft- und Landweg unter israelischer Kontrolle. Seit 16 Jahren besteht eine Blockade, die Ein- und Ausfuhren einschränkt und schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung hat. In den vergangenen Tagen wurde eine totale Blockade des Gazastreifens verhängt, und die Versorgung mit Strom, Lebensmitteln, Wasser und Gas wurde unterbrochen. Es droht eine humanitäre Katastrophe.
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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat erklärt, die Reaktion seines Landes werde "den Nahen Osten verändern". Von welchem Wandel spricht er? Wandel kann nicht bedeuten, die Blockade von 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen fortzusetzen und die Besetzung des Westjordanlandes zu verschärfen. Für einen dauerhaften Frieden brauchen Palästinenser*innen und Israelis kein Konfliktmanagement, sondern eine Veränderung jenseits von militärischer Besatzung und Blockade.
Wir haben uns seit Samstag regelmäßig bei unseren Partner*innen und Projektteilnehmenden erkundigt. Alle sind tief erschüttert von der massiven Gewalt, viele trauern um Angehörige oder Freunde auf beiden Seiten. Sie alle fürchten weitere Gewalt und noch mehr Opfer.
Wie einer von ihnen sagte, halten die Palästinenser*innen "den Atem an" und verfolgen die Entwicklungen mit großer Sorge. Ein Teilnehmer eines unserer Projekte in Masafer Yatta, einem abgelegenen Gebiet im Süden des Westjordanlandes, berichtete von einer verstärkten Präsenz der Armee und von Kontrollpunkten. In der Region befinden sich israelische Siedlungen, so dass die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bewohner*innen ohnehin schon stark eingeschränkt ist. In der Praxis ist jetzt nicht einmal mehr eine kurze Reise in die nächstgelegene Stadt Yatta möglich.
Im Norden des Westjordanlandes bestehen ebenfalls erhebliche Bewegungseinschränkungen. Unser Partner Dooz teilte uns mit, dass es für einige seiner Schüler*innen nicht möglich ist, nach Nablus zu reisen, wo sich ihr Büro befindet. In Nablus und anderen größeren Städten des Westjordanlandes fanden große Proteste gegen die Militäroperation in Gaza statt. Auch im Norden, in der Stadt Qalqiliya, die von der Mauer umgeben ist und nur wenige Ausgänge hat, erklärte eine Teilnehmerin unserer Frauengruppe: "Die Situation ist ein wenig angespannt. Die Armee schließt und öffnet die Stadt, wie sie will. Sie verhängen eine Ausgangssperre und schließen die Geschäfte. Keiner darf passieren. Siedler*innen waren in der Stadt, und man weiß, was sie vorhaben, also versuchen wir, vorsichtiger zu sein". Seit Donnerstag gab es Berichte über verschiedene Angriffe israelischer Siedler*innen auf die palästinensische Bevölkerung in mehreren Teilen des Westjordanlandes.
Wer an einem Frieden sowohl für Israelis als auch für Palästinenser*innen interessiert ist, muss sich fragen, was sich in diesem komplexen Szenario ändern muss. Militäroperationen haben Israel nicht sicherer gemacht. Die Bewohner*innen des Gazastreifens haben mehrere Kriegssituationen erlebt, die ihre Lebensbedingungen nur noch verschlimmert haben. Von den 2,2 Millionen Menschen in Gaza sind 80 % auf Hilfe angewiesen, um zu überleben. Die europäischen Regierungen erwägen, die Hilfe für die Palästinenser einzustellen, was für den Gazastreifen und die gefährdeten Gemeinden im Westjordanland mit Sicherheit katastrophale Folgen hätte und letztlich auch für die Sicherheit Israels kontraproduktiv sein kann.
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Unser Partner Combatants for Peace hat erklärt: "Für unsere Bewegung ist dies ein entscheidender Moment, in dem wir alle tief in uns gehen müssen, um unsere Entschlossenheit zu finden, gemeinsam voranzukommen. Die einzige Lösung besteht darin, die Besatzung zu beenden, Israelis und Palästinenser*innen zu vereinen und unsere gemeinsamen Anstrengungen auf die Erreichung des Friedens zu konzentrieren. Wir rufen zur Gewaltlosigkeit auf, zu einem neuen Sinn für Menschlichkeit und zu besseren Tagen für alle unsere Kinder."
Eine andere Partnerorganisation, Standing Together, hat erklärt: "Keine Worte können die Familien und Freunde der Getöteten angemessen trösten oder die Besorgnis über das Schicksal der Vermissten und Entführten lindern. Der heutige Tag (Samstag, 7. Oktober) hat gezeigt, dass die anhaltende Besatzung die Menschen nicht sicherer macht. Ganz gleich, wie viele Mauern gebaut werden, solange wir den Weg des Krieges gehen, werden wir weiterhin mit Blut bezahlen. Wenn wir die Richtung nicht ändern, in die wir uns bewegen, sind wir dazu verdammt, die Schrecken von heute immer wieder zu erleben. In diesem Land leben zwei Völker, und wenn es uns nicht gelingt, beiden ein Leben in Frieden, Freiheit und Unabhängigkeit zu ermöglichen, wird keiner von uns jemals in Frieden schlafen können."
Gewalt wird Palästinenser*innen und Israelis nur noch weiter auseinandertreiben. Jede friedliche Lösung muss dem Recht der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung und dem legitimen Recht sowohl der Israelis als auch der Palästinenser*innen auf ein Leben in Sicherheit Rechnung tragen. Für einen dauerhaften und gerechten Frieden für Israelis und Palästinenser*innen sind ein tiefgreifender Wandel der politischen Einstellung in Israel und im Ausland und ein entschlossenes Engagement auf beiden Seiten dringend nötig.
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